Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
»Ja… ja, das stimmt. Wissen Sie über ihn Bescheid?«
»Wie heißt er, Lena?«
»Olsen. Peter Olsen. Er wohnt in Wilhelmsburg und ist Motorradmechaniker. Ich glaube, er hat einen eigenen Betrieb.« Lenas helle Augen umwölkten sich. »Hanna mochte es gern, wenn ein Mann Geld für sie ausgeben konnte. Aber Peter war wahrscheinlich kein fester Freund. Hanna hatte es auf Geld abgesehen, nicht auf ölverschmierte Hände.«
»Sind Sie ihm je begegnet?«
Lena schüttelte den Kopf. »Aber sie hat mir am Telefon von ihm erzählt. Mutti und Papi gehen freitagabends immer aus. Dann hat sie oft angerufen und mir alles Mögliche verraten.«
»Hat sie je Markus Schiller erwähnt?«, fragte Werner. »Oder seine Frau, Vera Schiller?«
Im Treppenhaus war ein Geräusch zu hören, als öffne sich eine Tür, und Lena warf einen besorgten Blick nach oben. »Nein. Nicht, das ich wüsste. Nicht direkt. Hanna hat nur gesagt, dass sie einen Neuen gefunden hat. Ich hätte nie gedacht, dass es ihr Chef war, und mehr wollte sie mir nicht erzählen. Aber sie hatte Angst, dass Peter es herausfinden könnte. Tut mir Leid, ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Ich wollte nur, dass Sie von Peter erfahren.«
»Vielen Dank, Lena.« Fabel lächelte sie an. Sie war eine hübsche, aufgeweckte Achtzehnjährige, die für den Rest ihres Lebens unter dieser Heimsuchung leiden würde. Vielleicht nur in ihrem tiefsten Innern, aber sie würde den Tod ihrer Schwester nie verwinden. »Das war eine sehr wichtige Information für uns.«
Lena wollte gerade die Treppe hinauflaufen, als sie plötzlich innehielt. »Da ist noch etwas… Ich glaube, Peter war gewalttätig. Deshalb hatte sie Angst, dass er etwas herausfand.«
24.
Hamburg-Wilhelmsburg, Donnerstag, den 25. März, 10.10 Uhr
Olsen aufzuspüren war nicht schwierig gewesen. Sein Vorstrafenregister hielt sich in Grenzen, aber jedenfalls war klar, dass er dazu neigte, Probleme mit den Fäusten zu lösen. Er hatte drei Vorstrafen wegen Körperverletzung und war einmal wegen Hehlerei verwarnt worden, nachdem er Teile, die von einem gestohlenen Motorrad stammten, weiterverkauft hatte.
Wilhelmsburg ist der größte Hamburger Stadtteil. Im Grunde ist es eine Insel in der Elbe, die größte Flussinsel Europas, und zu seinen vielen Brücken gehört die Köhlbrandbrücke, die die Innenstadt im Norden mit Harburg im Süden verbindet. Wilhelmsburg hat ein seltsam unentschiedenes Aussehen und vereinigt Ländliches mit Schwerindustrie. Neben mächtigen Industriebauten weiden Schafe auf den Feldern. Der Stadtteil gilt als sozialer Brennpunkt und wird häufig scherzhaft als Bronx des Nordens bezeichnet; mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung sind Einwanderer.
Peter Olsen verkaufte und reparierte Motorräder in einer schäbigen Werkstatt am Flussufer, im Schatten einer Ölraffinerie. Fabel beschloss, Werner und Anna zur Befragung von Olsen mitzunehmen, und forderte außerdem eine Schutzpolizeieinheit an. Das vorliegende Material reichte nicht aus, um Olsen zu verhaften, aber Fabel war es gelungen, einen richterlichen Beschluss zur Beschlagnahme des Motorrads für eine forensische Überprüfung zu erhalten.
Fabel bremste an dem überwucherten Randstein neben dem zwei Meter hohen Maschenzaun, der Olsens Werkstatt umgab. Während sie auf das Eintreffen der Schutzpolizei warteten, musterte Fabel die Werkstatt und den Hof. Die Rahmen von vier oder fünf Motorrädern rosteten ineinander verschlungen im Hof vor sich hin. Außerdem lag dort ein riesiger Rottweiler auf der Seite und hob ab und zu seinen massigen Schädel, um einen trägen Blick über sein Gebiet zu werfen. Fabel konnte nicht erkennen, ob der Hund angebunden war oder nicht.
»Werner, ruf das Wilhelmsburger Polizeirevier an«, sagte Fabel, ohne Olsens Grundstück aus den Augen zu lassen. »Frag nach, ob man uns einen Hundeführer stellen kann. Olsens Haustier gefällt mir nicht.«
Hinter ihnen hielt ein grün-weiß lackierter Polizeitransporter. Es war, als wäre Olsens Wachhund darauf abgerichtet worden, auf Polizeifahrzeuge zu reagieren, denn er sprang sofort auf und bellte wütend in Richtung des Wagens. Ein großer Mann in einem Overall kam aus der Werkstatt und wischte sich die Hände an dem Stoff ab. Sein halsloser Kopf schien auf seine mächtigen Schultern gerammt worden zu sein. Er war das menschliche Gegenstück zu dem Rottweiler, der seinen Hof bewachte. Der Mann warf dem Hund einen Blick zu und murmelte etwas. Dann schaute er zu den
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