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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Flüsse und Kanäle gezogen, bevor Jacob und Wilhelm Grimm durch Deutschland gereist waren, um Märchen, Sagen und Mythen zu sammeln. Und noch früher, als diese Märchen, Sagen und Mythen hier zum ersten Mal erzählt wurden, waren andere Schiffe an diesem Ort eingetroffen und hatten ihre Handelswaren gebracht. Ein uraltes Land. Ein uraltes Land im Herzen Europas. So hatte Fabels Vater einst seine Heimat bezeichnet. Eine Gegend, in der man die Ereignisse intensiver erlebte als anderswo. »Wir kümmern uns darum«, sagte Fabel nach einer Weile.
    Der Kontrast zur Villa der Schillers hätte nicht ausgeprägter sein können. Die Familie Grünn hatte eine der Wohnungen in einem Sechserblock am Rand von Buxtehude gemietet. Das Mehrfamilienhaus, das umliegende Gelände und die Wohnung der Grünns selbst waren sauber und gepflegt. Aber als Fabel und Werner sich im Wohnzimmer zu Herrn und Frau Grünn und Hannas achtzehnjähriger Schwester Lena setzten, schien das Fassungsvermögen des Raumes bereits überschritten zu sein.
    Doch nicht nur die äußeren Umstände unterschieden sich. Im Gegensatz zu Vera Schiller zeigten die Grünns einen unverfälschten Verlustschmerz. Unwillkürlich stellte Fabel einen weiteren Vergleich an, nämlich mit Herrn und Frau Ehlers, die geglaubt hatten, ihr verschollenes Kind, wenn auch tot, so doch endlich gefunden zu haben, nur um festzustellen, dass sie das Opfer einer unerträglich brutalen Irreführung geworden waren. Anders als die Familie Ehlers waren die Grünns nun in der Lage, ihrem tiefen Kummer freien Lauf zu lassen. Es gab eine Leiche, die sie beerdigen konnten.
    Erich Grünn war ein großer, stämmiger Mann mit einem aschblonden Haarschopf, der in seinen zweiundfünfzig Jahren nicht lichter geworden war. Seine Frau Anja und seine Tochter Lena ließen Ansätze von Hanna Grünns Schönheit erkennen. Alle drei beantworteten die Fragen der Kriminalbeamten mit einer bleiernen Höflichkeit. Die Grünns waren offensichtlich bereit zu helfen, aber wahrscheinlich würde das Gespräch nicht viel ergeben. Hanna hatte wenig über ihr Leben in Hamburg verlauten lassen, sondern nur angedeutet, dass sie auf einen baldigen Modelvertrag hoffe. Vorläufig komme sie gut in der Backstube Albertus zurecht und stehe vor einer Beförderung.Fabel wusste durch die kritischen Äußerungen von Biedermeyer, Hannas unmittelbarem Vorgesetzten in der Backstube, dass nichts dergleichen geplant gewesen war. Hanna hatte offenbar noch einen begrenzten Kontakt zu ihrer Familie aufrechterhalten, doch einen großen Teil von dem verschwiegen, was sich in ihrem Leben ereignete. Fabel spürte Verlegenheit, ja, geradezu ein Schuldgefühl, als er die Umstände von Hannas Tod erklärte, nämlich die Tatsache, dass sie gemeinsam mit ihrem Chef, zu dem sie ein Verhältnis gehabt hatte, umgebracht worden war. Frau Grünn reagierte aufrichtig schockiert, und Scham verdunkelte die Miene ihres Mannes. Lena starrte auf den Fußboden.
    »Wie steht’s mit anderen Freunden? Gab es jemanden, dem sie besonders nahe stand?« Sobald Fabel die Frage gestellt hatte, spürte er eine Spannung zwischen den drei Hinterbliebenen.
    »Sie hatte keinen besonders engen Freund.« Herr Grünn antwortete ein wenig zu schnell. »Hanna konnte sich aussuchen, wen sie wollte. Sie ließ sich auf keine ernsthafte Beziehung ein.«
    »Und was ist mit Herrn Schiller? Hat Hanna jemals ihre Beziehung zu ihm erwähnt?«
    Nun meldete sich Frau Grünn zu Wort. »Herr Fabel, wir haben unsere Tochter nicht dazu erzogen… sich mit verheirateten Männern einzulassen.«
    »Hanna hätte also nicht mit Ihnen darüber gesprochen.«
    »Sie hätte es nicht gewagt«, meinte Herr Grünn. Fabel merkte, wie Hanna noch im Tod den finsteren Zorn ihres Vaters erregte. Wie finster mochte dieser Zorn in Hannas Kindheit gewesen sein, und wie sehr hatte er dazu beigetragen, dass sie den Kontakt zu ihrer Familie einschränkte?
    Am Ende des Gesprächs brachten Fabel und Werner noch einmal ihr Mitgefühl zum Ausdruck. Lena sagte, sie wolle die beiden Polizisten hinausbegleiten, doch statt sich an der Türvon ihnen zu verabschieden, ging sie schweigend mit ihnen die Gemeinschaftstreppe des Wohnhauses hinunter. In dem Flur vor der Eingangstür bleib sie stehen und sagte leise, fast verschwörerisch: »Mutti und Papi wissen es nicht, aber Hanna war mit jemandem zusammen. Nicht mit ihrem Chef, sondern vorher.«
    »Besaß er ein Motorrad?«, fragte Fabel.
    Lena sah ein wenig verblüfft aus.

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