Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
trug einen roten Helm mit heruntergeklapptem Visier, doch Fabel erkannte ihn an seinem ölbefleckten Overall. Der Mann handhabte das Motorrad wie eine Waffe. Das Vorderrad hob sich ein wenig, als er den Gashebel zu einem wütenden Winseln aufdrehte. Adrenalin schoss durch Fabels Körper und verlangsamte die Zeit. Aber das Motorrad schien sich dennoch so sehr zu beschleunigen, als habe Fabel ein Zoomobjektiv darauf gerichtet.
Anna sprang zur einen und Fabel zur anderen Seite aus dem Weg, während das Motorrad zwischen ihnen hindurchraste. Fabel rollte mehrere Male über den Boden, bevor er liegen blieb. Gerade hatte er sich auf ein Knie erhoben, als etwas Dunkles gegen ihn prallte. Für einen Sekundenbruchteil dachteer, Olsen sei mit dem Motorrad zurückgekommen, um ihm und Anna den Garaus zu machen, aber als er sich umdrehte, sah er, wie sich der Rottweiler mit aufgerissenem Maul auf ihn stürzte. Fabel riss den Kopf zurück, als die Zähne zuschnappten. Er spürte kalten Schleim und Speichel auf seiner Wange, doch er wusste, dass der Hund ihn verpasst hatte. Diesmal rollte er sich in die entgegengesetzte Richtung, und ein bohrender Schmerz durchfuhr seine Schulter. Fabel rollte weiter, und das böse Knurren des Hundes wurde zu einem wütenden, frustrierten Bellen, denn das Tier hatte das Ende der Kette erreicht.
Fabel rappelte sich auf. Anna Wolff war ebenfalls aufgestanden und schaute zu ihrem Chef hinüber, um sich zu überzeugen, dass er unversehrt war. Sie sah aus wie jemand, der vor einem Rennen die Startposition eingenommen hat, und Fabel nickte. Sie sprintete auf Fabels Auto und den grün-weißen Polizeitransporter zu. Die beiden uniformierten Beamten standen wie gelähmt an den beiden Seiten des Motorrads, das sie gerade auf die Ladefläche des Wagens hatten schieben wollen. Anna Wolff änderte ihre Bahn und rannte auf das Motorrad zu.
»Steckt der Schlüssel?«, schrie sie in Richtung der beiden immer noch bewegungslosen Schupos. Bevor sie antworten konnten, hatte Anna das Motorrad erreicht und stieß den hinten stehenden Beamten zur Seite. Sie riss die Maschine von der Heckklappe des Wagens zurück, ließ den Motor an und raste davon, um Olsen zu folgen.
Fabel packte seine Schulter. Der Stoff seines Jaeger-Jacketts war aufgerissen, und das Futter quoll dort hervor, wo der Rottweiler seine Zähne eingeschlagen hatte. Fabels Schulter schien gequetscht zu sein, aber der Stoff seines Polohemds war heil geblieben, und er konnte keine Spur von Blut entdecken. Er warf einen zornigen Blick zu dem Hund hinüber, der an seiner Kette zog, sich auf die Hinterbeine erhob und ohnmächtig mit den Vordertatzen in die Luft schlug.
»Dahin!«, rief Fabel den beiden Schutzpolizisten zu und lief zur geöffneten Tür der Werkstatt. Werner lag auf dem Boden. Er hatte sich halb aufgesetzt und drückte ein bereits scharlachrotes Taschentuch an die rechte Seite seines blutenden Kopfes. Fabel kniete neben ihm nieder und löste Werners Hand und das blutgetränkte Taschentuch vorsichtig von der Wunde. Dort klaffte ein hässlicher, tiefer Riss, und Werners mit Stoppeln bedeckte Kopfhaut schwoll bereits an. Fabel zog sein eigenes, unbenutztes Taschentuch hervor, drückte es seinem Kollegen in die Hand und schob sie zurück zur Wunde. Dann legte er einen Arm um Werners Schultern, um ihn zu ermutigen.
»Hältst du durch?«
Werners Augen wirkten glasig und verschwommen, aber er rang sich ein schwaches Nicken ab, das Fabel nicht beruhigen konnte. Die beiden Uniformierten standen nun auch in der Werkstatt. Fabel deutete mit dem Kopf zu den Regalen hinüber.
»Sie. Versuchen Sie, dort drüben einen Erste-Hilfe-Kasten zu finden.« Er wandte sich an den zweiten Beamten. »Und Sie, fordern Sie einen Unfallwagen an.«
Fabel blickte auf den Boden der Werkstatt. Ungefähr einen Meter von Werner entfernt lag ein Schraubenschlüssel. Er hatte einen schweren, massiven Kopf; der verstellbare Griff und die Backen waren von Werners Blut überzogen. Fabel sah auch, dass die Tür am anderen Ende der Werkstatt offen stand. Der Dreckskerl, dachte er. Olsen hatte einen klaren Kopf behalten. Er hatte die Tür seelenruhig vor aller Augen aufgeschlossen, während er so tat, als sichere er das Gebäude. Die Aktion war genau überlegt gewesen, denn er hatte erraten, dass ihn, solange er kooperierte, wenn auch ungeduldig und gereizt, nur ein Polizist begleiten würde, damit er »die Alarmanlage einschalten« konnte. Dann hatte er Werner mit dem
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