Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
jedoch, dass es sich um ein R 1100 S -Modell handelte. Er musste zugeben, dass es eine Schönheit war: ein geschmeidiges, glattes Ungeheuer, das sogar im Stehen schnell wirkte. Auf eine seltsame Weise erinnerte es Fabel an Olsens Wachhund – voll von aufgestauter Kraft und Gewalt, die unbedingt freigelassen werden wollten. Er nickte den beiden Uniformierten zu, die das Motorrad zu dem wartenden Transporter schoben.
»Wozu brauchen Sie es denn?«, fragte Olsen.
Fabel ignorierte die Frage. »Wissen Sie Bescheid über Hanna Grünn? Sie haben es wahrscheinlich schon gehört?«
Olsen nickte. »Ja, habe ich.« Er gab sich so desinteressiert wie möglich.
»Sie scheinen nicht besonders erschüttert zu sein«, sagte Anna Wolff. »Ich dachte, Sie waren ihr Freund.«
Olsen stieß ein Lachen hervor und versuchte nicht, seine Bitterkeit zu verbergen. »Ihr Freund? Ich nicht. Ich war bloß ein Trottel. Einer von Hannas vielen Trotteln. Sie hat mir vor Monaten den Laufpass gegeben.«
»Frau Grünns Kollegen haben uns etwas anderes erzählt. Die sagen, Sie hätten Hanna manchmal von der Bäckerei mit dem Motorrad abgeholt. Bis vor kurzem.«
»Mag sein. Sie war die Ausnutzerin, und ich war der Ausgenutzte. Was kann ich sonst noch sagen?«
Fabel hatte keinen Zweifel daran, dass Olsen regelmäßig in ein Fitnessstudio ging. Die Schultern und Arme, die sich unter dem Stoff seines Overalls wölbten, verrieten eine erhebliche Kraft. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass er den kleineren, schmächtigeren Schiller überwältigt und ihn mit zwei Schnitten eines scharfen Messers getötet hatte.
»Wo waren Sie am Freitagabend, Herr Olsen?« fragte Anna. »Am 19. … bis zum Samstagmorgen.«
Olsen zuckte die Achseln. Du übertreibst deinen Gleichmut, dachte Fabel. Du hast etwas zu verbergen. »Ich bin was trinken gewesen. In Wilhelmsburg. Um Mitternacht bin ich nach Hause gefahren.«
»Wo waren Sie?«
»Im ›Pelikan‹. Das ist eine neue Bar in der Stadtmitte. Ich wollte sie mir mal ansehen.«
»Kann das irgendjemand bestätigen, der auch dort war?«, fragte Anna.
Olsens Miene verriet, dass er Annas Frage für albern hielt. »Da waren Hunderte von Gästen. Wie gesagt, die Bar ist neu, und etliche Leute hatten wohl den gleichen Einfall wie ich. Aber ich kann mich an niemanden erinnern, den ich kenne.«
Fabel machte eine geradezu entschuldigende Geste. »Dann müssen wir Sie leider bitten mitzukommen, Herr Olsen. Ihre Aussagen reichen nicht aus, jeden Verdacht gegen Sie auszuräumen und Ihnen ein Verhör zu ersparen.«
Olsen seufzte resigniert. »Meinetwegen. Aber schließlich ist es nicht meine Schuld, dass ich kein Alibi habe. Wenn ich etwas verbrochen hätte, hätte ich mir bestimmt eins zugelegt. Dauert das lange? Ich muss heute noch einige Reparaturen erledigen.«
»Wir werden Sie nur so lange bei uns behalten, bis wir die Wahrheit erfahren haben. Bitte, Herr Olsen.«
»Kann ich zuerst abschließen?«
»Natürlich.«
Am anderen Ende der Werkstatt befand sich eine Hintertür. Olsen schritt hinüber und drehte den Schlüssel im Schloss um. Dann ging er, gefolgt von den drei Beamten, hinaus. Der Hund schlief inzwischen auf dem Hof.
»Wenn ich über Nacht weg bin, muss ich dafür sorgen, dass der Hund gefüttert wird.« Er blieb plötzlich stehen und drehtesich zur Werkstatt um. »Scheiße. Die Alarmanlage. Ich kann die Motorräder nicht hier lassen, ohne dass die Alarmanlage an ist. Darf ich sie noch schnell einschalten?«
Fabel nickte. »Werner, bitte begleite Herrn Olsen.«
Als die beiden außer Hörweite waren, fragte Anna: »Hast du auch das Gefühl, dass wir hier nicht viel herausholen werden?«
»Ich weiß, was du meinst. Das Einzige, was Olsen zu verbergen scheint, ist wohl, wie nahe Hannas Tod ihm wirklich geht.«
Plötzlich hörten sie ein heiseres Brüllen aus der Werkstatt. Anna und Fabel tauschten einen Blick aus und rannten auf das Gebäude zu. Der Rottweiler war aus dem Schlaf aufgeschreckt, und sein Raubtierinstinkt wurde durch die beiden laufenden Polizisten angestachelt. Er warf sich an der Kette hin und her, und seine mächtigen Kiefer schnappten ins Leere. Fabel machte einen Bogen und hoffte, die Reichweite der Kette richtig eingeschätzt zu haben. Sie hatten etwa die Hälfte der Entfernung zur Werkstatt zurückgelegt, als Olsen auf einem riesigen roten Motorrad seitlich herausschoss. Fabel und Anna erstarrten einen Moment lang, denn das hochtourige Rennmotorrad hielt genau auf sie zu. Olsen
Weitere Kostenlose Bücher