Jan Fabel 04 - Carneval
mehr als befriedigend. Er dachte, wie schön es wäre, in dem gemütlichen Brauerei-Café sitzen zu bleiben und sich in aller Ruhe zu betrinken. Aber natürlich würde er es nicht tun. Fabel war noch nie wirklich sturzbetrunken gewesen. Dann hätte er die Kontrolle verloren und sich dem Zufälligen und Chaotischen überlassen.
Ein Kellner mit einer langen Schürze trat an den Tisch und sagte etwas Unverständliches. Fabel lachte, denn er erinnerte sich an eine weitere Kölner Tradition. In einem Restaurant wie diesem hießen die Kellner Köbes und sprachen in einer deftigen Mundart, die gewöhnlich von saftigem Humor durchsetzt war. Der Kellner grinste und wiederholte seine Frage auf Hochdeutsch, wonach Fabel sein Essen bestellte.
Köln unterschied sich sehr von Hamburg. Ist es möglich, überlegte Fabel, die Umgebung zu wechseln und sich dabei auch selbst entsprechend zu ändern? Wäre er ein anderer Mensch, wenn seine Wiege hier und nicht im Norden gestanden hätte? Der Kellner brachte seine Mahlzeit und ein neues Glas Bier, und Fabel versuchte, diese Gedanken zu verdrängen. Jedenfalls vorläufig.
6.
Vier Stunden waren bereits vergangen, doch Maria hatte Olgas Angebot, die Beobachtung der Monitore zu übernehmen, ausgeschlagen. Es wurde dunkel, und die Villa glich einem verschwommenen, von der Helligkeit der Fenster unterbrochenen geometrischen Muster. Plötzlich erstrahlten zwei Lampen über der Haustür und beleuchteten einen der Posten.
»Sag Taras, dass sie in Bewegung sind«, rief sie Olga zu.
Die Tür schwang auf, und Witrenkos Leibwächter erschien auf der Schwelle. Der Schlag des Lexus wurde für jemanden geöffnet, der noch außer Sicht war. Dann stand eine große, dunkle Gestalt in dem hellen Türrahmen. Erneut ein Schaudern des Wiedererkennens. Er mochte sein Gesicht verändert haben, doch ein Urinstinkt identifizierte den Umriss, der sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte. Er verharrte. Die Silhouette seines Kopfes war angewinkelt, und Maria spürte Eis in den Adern. Es war, als schaue Witrenko sie durch die Kamera direkt an.
Er trat vor, stieg in den Lexus und war außer Sicht.
Marias Blick folgte dem Auto, das die Einfahrt hinunterrollte und dann durchs Tor glitt. »Sie biegen nach rechts ab.«
Der Lexus war verschwunden. Genau wie Witrenko.
»Taras ist ihnen auf der Fährte«, sagte Olga Sarapenko. »Sie sind auf dem Weg zur Autobahn. Er möchte, dass du ihm bei der Überwachung hilfst.« Sie warf Maria ein Walkie-Talkie zu. »Kanal drei. Taras wird dich einweisen. Und ich werde hier am Kommandoposten bleiben. Ich soll den Kontakt zwischen dir und Taras herstellen und euch über alle Entwicklungen auf dem Laufenden halten.«
»Wäre es nicht besser, wenn du dich an der Überwachung beteiligst?«, fragte Maria. Plötzlich war sie eingeschüchtert, denn sie fühlte sich nicht gewappnet für die Konsequenzen, falls sie Witrenko einholte. »Bist du dafür nicht besser ausgebildet?«
»Ich bin nur Polizistin wie du. Der Unterschied besteht darin, dass du eine deutsche Polizistin bist. Taras meint, das könnte nützlich sein, wenn sich die Dinge komplizieren.«
»Aber ich kenne diese Stadt nicht …«
»Wir haben genug GPS-Geräte, um dir die Richtung anzugeben. Fahr mit deinem eigenen Auto. Du musst los. Sofort.«
Es war dunkel, feucht und kalt. Köln glitzerte öde an diesem Winterabend. Eine gerade Strecke führte durch Zollstock und Sülz nach Lindenthal. Das Funkgerät lag stumm auf dem Beifahrersitz. Als Maria sich zehn Minuten später dem Stadtwald näherte, griff sie nach dem Walkie-Talkie.
»Olga … Olga, hörst du mich?«
»Ich höre dich.«
»Welche Richtung soll ich einschlagen?«
»Ich bin auf der Autobahn nach Norden.« Es war Buslenkos Stimme. »Fahr zum Kreuz Köln-West und nimm die A57 in nördliche Richtung. Ich gebe dir Bescheid, falls wir abbiegen. Olga, lenk Maria durch Junkersdorf zur Autobahn. Witrenkos Auto ist nicht schnell, aber Maria kann uns erst einholen, wenn wir irgendwo haltmachen. Olga, weißt du, wohin wir unterwegs sein könnten?«
»Moment.« Nach einer Pause antwortete sie: »Es sieht so aus, als würde Witrenko die Stadt verlassen. Vielleicht kehrt er nach Norden zurück. Nach Hamburg.«
»Unwahrscheinlich zu dieser späten Stunde«, sagte Buslenko. Seine aus dem Funkgerät dringende Stimme schien ein Universum entfernt zu sein. Maria fühlte sich allein, abgekapselt durch die Dunkelheit und den dichten Graupelregen an der Windschutzscheibe.
Weitere Kostenlose Bücher