Jan Fabel 04 - Carneval
den Akten über dich steht? Dass du nichts als ein Vollidiot bist. Ein früherer Subalternoffizier mit einem Napoleon-Komplex. Du bist kein Soldat, Witrenko, sondern ein ganz gewöhnlicher Verbrecher.« Maria freute sich darüber, dass ihre Stimme keine Spur von ihrer Todesangst enthalten hatte.
Witrenko lächelte. »Vielen Dank für den Einblick, Frau Klee, aber mich interessiert viel mehr, welches Material die Arbeitsgruppe über meine Geschäfte gesammelt hat. Ich brauche das Dossier. Nicht die Akte, die wir Buslenko abgenommen haben, sondern die vollständige deutsche Version.«
»Hör mal, Witrenko, wenn du solch ein kriminelles Genie bist, warum hast du mich dann deinen Stellvertreter erschießen lassen?«
»Molokow?« Witrenko grinste. »Ich habe ihn nicht durch dich erschießen lassen , sondern dich dazu gebracht , ihn zu erschießen. Ich glaube nämlich, dass Molokow eine Vereinbarung mit den deutschen Behörden getroffen hatte und mich ihnen ausliefern wollte. Er könnte auch selbst der Spitzel gewesen sein. Molokow war ehrgeizig und heimtückisch. Ich musste ihn beseitigen, und es war amüsant, dir die Aufgabe zu übertragen. Außerdem passte es zu unserem kleinen Spielchen. Was ich gern wissen würde, Maria: Ging deine Bereitschaft, dein Leben in der Werkstatt zu opfern, auf den Drang zurück, mich als Buslenko zu retten oder mich als Witrenko zu töten?«
»Darauf musst du schon selber kommen.«
»Hat dir die Umgebung übrigens gefallen?« Wieder das grausame Lächeln, das so kalt war wie die Temperatur in der Kammer. »Ich meine das Feld und alles andere. Das Treffen mit Molokow habe ich dort vereinbart, weil ich wusste, dass du die Umstände schätzen würdest. Ich habe dich auf dem Feld im Norden ganz schön zugerichtet, stimmt’s, Maria? Ich weiß alles über deinen übergeschnappten Freund, deine Krankheit, über Dr. Minks und seine Behandlung. Gerade du bist nicht befugt, jemanden als ›Vollidioten‹ zu bezeichnen. Wie auch immer, lass uns mit deinen Zugangscodes und Passwörtern für das BKA-System anfangen.«
»Damit kommst du nicht weit«, erwiderte Maria.
»Oh, keine Sorge, wir wissen, dass du ein sehr, sehr kleiner Fisch bist. Du musst uns auf andere Weise helfen, das Dossier an uns zu bringen. Aber vorher: Welche Zugangscodes und Passwörter kennst du? Hast du sie dir eingeprägt oder irgendwo niedergeschrieben?«
»Schließ die Tür auf dem Weg nach draußen«, empfahl Maria, die ihr Schaudern nicht unterdrücken konnte. »Hier zieht es schrecklich.«
»Oh, ich werde dich nicht erfrieren lassen, Maria.« Witrenko nickte Olga Sarapenko zu, die ihm ihre Pistole reichte und den Raum einen Moment lang verließ. Sie kehrte mit einem großen Eimer zurück. Maria nahm gerade noch zur Kenntnis, dass der Inhalt dampfte, als er sie bereits traf. Sie schrie auf, denn das siedend heiße Wasser verbrannte ihre nackte Haut. Ihr Gesicht, ihre Arme und ihre Brust standen in Flammen, und sie krümmte sich auf dem staubigen Boden. Die Qual des Verbrühens schien sich eine Ewigkeit hinzuziehen. Schließlich riss sie die Hände vom Gesicht, um die Verletzungen zu untersuchen. Sie betrachtete ihre Arme und Beine, die scharlachrot und voller Blasen hätten sein müssen. Doch die Stellen, die das Wasser berührt hatte, waren rosa angelaufen – mehr nicht. Trotzdem versengte der Schmerz ihren Körper immer noch. Witrenko wartete ein paar Sekunden, während Maria auf dem Fußboden kauerte und nach Atem rang.
»Ein kleiner Trick, den ich vor einiger Zeit erlernt habe«, erklärte er. »Das Wasser war bloß handwarm. Es fügt dir keinen Schaden zu, aber wenn du vorher stark genug durchgekühlt bist, hast du das Gefühl, von Säure verbrannt zu werden.« Sarapenko hatte einen zweiten Eimer geholt und übergoss Maria mit dem Inhalt. Wieder tat es weh, doch nicht so sehr wie vorher und nur dort, wo die Haut beim ersten Mal nicht nass geworden war. Nun erschien ihr die Wärme fast angenehm. »Kapiert?«, fragte er. »Jetzt bist du daran gewöhnt.« Sarapenko brachte einen dritten Eimer, den sie Witrenko übergab.
»Das zentrale Nervensystem ist nämlich sehr leicht zu verwirren. Es kann nur schwer zwischen extremer Hitze und extremer Kälte unterscheiden.« Er schüttete das Wasser des dritten Eimers über ihren Körper. Diesmal löste sich Marias Welt in einer Explosion stechender Schmerzen auf. Sie stieß einen animalischen Schrei aus, denn jede Nervenfaser schien von Flammen erfasst zu werden. Sie war
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