Jan Fabel 04 - Carneval
Sie nicht gesehen, in welchem Zustand er mich zurückgelassen hat?«
»Bitte, Frau Sandow …« Fabel schlug einen möglichst versöhnlichen Tonfall an. »Sie dürfen mir glauben, dass ich genau weiß, wie gestört und pervertiert dieser Widerling ist. Aber ich muss von Ihnen erfahren, ob die Dinge vielleicht einvernehmlich anfingen und dann außer Kontrolle gerieten. Das ist eine Position, die seine Verteidigung vertreten könnte.«
»Nein. Ich war auf einer Party. Als ich hinausging, stand ein Clown auf der Straße. Er bewegte sich nicht und glotzte mich einfach nur an. Ich habe mich auf den Heimweg gemacht und plötzlich bemerkt, dass er mir folgte. Als ich weglief, rannte er hinter mir her. Ich glaubte, ihn in der Menge abgeschüttelt zu haben, aber an der Kirche tauchte er wie aus dem Nichts wieder auf. St. Ursula. Dann hat er mich vergewaltigt, auf mich eingeprügelt und mich noch einmal vergewaltigt. Dabei hat er seine Krawatte so straff um meinen Hals geschlungen, dass ich fast erwürgt wurde.«
»Und er hat Sie gebissen?«
»Wieder und wieder.«
»Wir haben die gerichtsmedizinischen Fotos der Bisse«, sagte Tansu. »Wir werden eine Übereinstimmung mit seinen Zahnabdrücken herstellen können. Glauben Sie mir, Frau Sandow, er wird ein Weilchen im Gefängnis sitzen.«
»Auf ihn wäre ich nie gekommen. Ich dachte, es sei ein Fremder, der mich zufällig ausgesucht hat.« Andrea schien in ihren Erinnerungen verloren zu sein, doch dann hatte sie einen Einfall, der sie elektrisierte. »Vielleicht war er auf der Party! Bei der Vernehmung wurde ich nach den Namen aller männlichen Gäste gefragt, aber ich konnte keinen nennen. Es war doch Karneval, und alle liefen verkleidet herum. In Kostümen. Er könnte also dort gewesen sein. Ich weiß, dass alle männlichen Studenten meines Semesters verhört wurden.«
»Es war eine Party für Medizinstudenten?«, fragte Tansu.
»Hauptsächlich, aber nicht ausschließlich. Übrigens, wird er vor der Verhandlung aus der Haft entlassen?«
»Nicht, wenn wir es verhindern können«, erklärte Fabel.
»Keine Sorge, Frau Sandow«, meinte Tansu. »Wir werden Ihnen Lüdeke vom Leibe halten.«
»Ich mache mir keine Sorgen«, entgegnete Andrea, erneut mit ihrem harten Männerblick. »Wie gesagt, er sollte sich Sorgen machen, wenn wir uns je wieder begegnen.«
Auf dem Weg zu Tansus Auto warf Fabel einen Blick zurück auf Andreas Mietshaus, als erhoffe er sich eine Antwort von ihm.
»Was ist?«, fragte Tansu.
»Haben Sie gesehen, wie Frau Sandow angezogen war?«
»Sie schien eine Verabredung zu haben. Ehrlich gesagt, wären die Muskeln nicht gewesen, hätte man ihre Kleidung fast nuttig nennen können. Merkwürdig, nicht?«
»Genau das ist es«, rief Fabel. »Sie war gekleidet wie für ein Date, aber sie redete dauernd von einem Termin. Als wäre es etwas Geschäftliches. Ich habe eine ganz seltsame Idee … Lachen Sie nicht, aber ich glaube, unsere Muskelfrau arbeitet heimlich als Prostituierte.«
ELFTES KAPITEL
23. Februar, Weiberfastnacht
1.
Die Welt war verrückt geworden, als Fabel das Kölner Polizeipräsidium betrat. Es war Weiberfastnacht, und sogar die Sicherheitsbeamten trugen Kostüme. In der Mordkommission saß Benni Scholz in Uniform am Schreibtisch. Allerdings konnte Fabel nicht übersehen, dass es eine weibliche Uniform war.
»Sei still, Hauptkommissar Fabel«, warnte Scholz. »Komm mir nicht auf dumme Gedanken …«
Tansu Bakrac trat ein. Sie trug ein einteiliges Katzenkostüm mit flauschigen Ohren und aufgemalten Schnurrhaaren. Fabel fielen ihre Kurven auf.
Kris Feilke ging als Sheriff. Die übrigen Beamten waren ähnlich gewandet, mehrere als Clowns, was Fabel für ziemlich unangemessen hielt.
»Sie hätten sich etwas mehr Mühe geben können, Herr Fabel«, warf Tansu ihm ironisch vor.
Tatsächlich fühlte sich Fabel ohne Karnevalskostüm recht deplatziert. Er trug wie üblich sein Jaeger-Sportjackett, einen schwarzen Rollkragenpullover und Chinos.
Das Team versammelte sich in Scholz’ Büro. Der Oberkommissar legte so viel Ernst an den Tag, wie seine Ausstattung es zuließ. »Ihr alle seid bis Mitternacht im Dienst, und danach gehen wir in die Kneipe, wo wir unserem Hamburger Kollegen zeigen werden, was eine echte Party ist. Aber vorher möchte ich, dass ihr auf den euch zugeteilten Routen bleibt und die Augen offen haltet. Der Karnevalskannibale hat in der Weiberfastnacht immer vor Mitternacht zugeschlagen. Allerdings ist unser
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