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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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stellte die Schüssel wieder auf den Boden und zog eine schwere Automatik aus dem Halfter. Er ließ den Schlitten zurückschnappen, löste den Sicherungshebel und rammte den Lauf in Marias Wange. Dann wiederholte er die »Gib-her«-Geste mit seiner freien Hand. Maria griff in die Höhlung der Matratze, holte den Löffel hervor und reichte ihn dem Wächter mit einem zynischen Grinsen. Er erwiderte es und schlug ihr gleichzeitig den Lauf seiner Automatik über die Stirn.
    Maria starrte ihn voller Trotz und Hass an. Sie konzentrierte sich darauf, nicht ohnmächtig zu werden, während etwas Blut von der Stirnwunde an ihrem Gesicht heruntertröpfelte. Keiner von beiden zweifelte daran, dass sie ihn töten wollte, doch der Mann betrachtete sie nur gleichgültig, bevor er sich umdrehte und mit der Schüssel und dem Löffel hinausging. Danach erlosch das Licht. Maria fiel ein, dass sich direkt vor der Tür ein Lichtschalter befand. Sie war dankbar für die plötzliche totale Dunkelheit, denn nun konnte sie schlafen, ohne sich die stinkende Decke über den Kopf ziehen zu müssen. Sie lehnte sich in der Schwärze zurück und schwor, die Wunde an ihrem Kopf nicht zu berühren.
    Etwas ging in ihr vor. Es war, als erhöhten die Schmerzen ihre Entschlossenheit und als schärften sie ihren Geist. Sie verspürte eine neue Klarheit, eine neue Reinheit der Gedanken. Dies war die Kasteiung des Fleisches. Der Schmerz wurde zu einer Art Hintergrundgeräusch: Je weiter sie sich von ihm entfernte, desto stärker konnte sie auch von ihrem körperlichen Sein abrücken. Maria richtete all ihre Energie auf ihre Vorstellungskraft. Es musste einen Ausweg geben.
    8.

    »Sie kennen Oliver Lüdeke?«
    »Ja.« Andrea schaute in die Luft, als wolle sie in die Vergangenheit blicken, und schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht glauben. Lüdeke. Sind Sie wirklich sicher?«
    »Völlig«, sagte Tansu. »Es gibt keinen Zweifel. Woher kennen Sie ihn?«
    »Wir haben zusammen Medizin studiert.« Andrea schlug die Beine übereinander, und ihr Rocksaum schob sich ein wenig nach oben. Fabel bemerkte, dass ein paar Zentimeter ihres Schenkels oberhalb des Strumpfes entblößt waren. Die gebräunte Haut spannte sich über straffen Muskeln.
    »Wohin wollten Sie heute Abend?«, fragte er. »Wenn es ein wichtiger Termin ist, können wir später – oder sogar morgen – zurückkommen.« Wie Andrea benutzte Fabel das neutral-geschäftsmäßige Wort »Termin«.
    »Nein, es ist schon in Ordnung. Ich habe gesagt, dass ich später kommen werde.« Sie wandte sich wieder Tansu zu. »Wir haben zwar zusammen Medizin studiert, aber er war zwei Jahre weiter als ich. Wir alle kannten Oliver, und viele Studentinnen schwärmten für ihn.«
    »Sie auch?«, erkundigte sich Fabel.
    Andrea fixierte ihn mit ihrem harten Männerblick. »Mag sein. So war ich damals. Weich. Aber er schien mich nie wahrzunehmen. Ich kann nicht glauben, dass er …« Ihre Miene verhärtete sich noch mehr. »Der Dreckskerl. Lassen Sie mich eine halbe Stunde mit ihm allein, und Sie können sich eine Menge Zeit und Ärger sparen. – Warum? Warum hat er mir das angetan?«
    »Allem Anschein nach ist Lüdeke ein hochgradig gestörter Mensch«, antwortete Fabel. »Sie sind vermutlich nicht sein einziges Opfer, und manche der anderen haben wahrscheinlich nicht überlebt. Es könnte uns allerdings Mühe machen, das zu beweisen.«
    »Aber wenn er wegen des Überfalls auf Sie verurteilt wird«, erklärte Tansu, »wird er für einige Zeit verschwinden. Hoffentlich lange genug, um ihn auch der Morde zu überführen.«
    »Sind Sie bereit, gegen ihn auszusagen?«, fragte Fabel.
    »Natürlich.«
    »Es könnte eine Tortur für Sie sein. Vor Gericht, meine ich.«
    Andrea lachte bitter. »Glauben Sie etwa, dass mir bei so etwas noch die Knie weich werden? Ich würde mich darauf freuen, ihm in einem Gerichtssaal gegenüberzustehen und genau zu schildern, was er mir angetan hat.«
    »Gut.« Fabel machte eine Pause, um dann fortzufahren: »Sie kannten ihn also vom Ansehen. Damals als Studentin.«
    »Ja.«
    »Aber Sie haben ihn in jener Nacht nicht erkannt?«
    »Nein … Er war stark geschminkt. Als Clown.«
    »Es gibt eine Frage, die ich stellen muss«, erklärte Fabel. »Könnte Lüdeke behaupten, dass es sich um einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt hat? Schließlich kannten Sie ihn und waren in ihn verknallt.«
    »Sind Sie verrückt?« Eine Ader zuckte an ihrem Hals. »Er hätte mich fast umgebracht. Haben

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