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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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vage Vorstellung von den Feierlichkeiten, doch war er bis dahin nur durch das Fernsehen mit ihnen in Berührung gekommen. Auch Köln selbst kannte er kaum; er hatte sich nur ein- oder zweimal kurz dort aufgehalten. Während er sich in die Akte vertiefte, verlor er sich in unvertrauten Kennzeichen. Nun wurde ihm klar, wie schwierig es für die von Wagner und van Heiden vorgeschlagene Einheit sein würde, in ganz Deutschland effektiv tätig zu werden. In einem Land mit zwanzig unterschiedlichen Kulturen und, wenn man an Ost und West dachte, noch dazu mit zwei verschiedenen historischen Entwicklungen.
    Der Kölner Karneval war einzigartig. Weiter im Süden gab es die traditionelleren Formen des Faschings und der Fastnacht. In Düsseldorf, dem großen Rivalen Kölns, oder in Mainz nahm der Karneval eine ähnliche Form an, ohne jedoch ganz die anarchische Überschwänglichkeit der Kölner Feier zu erreichen. Der dortige Karneval war nicht nur ein Datum im Kalender, sondern ein Teil der Kölner Psyche. Er war typisch für das Wesen der Stadtbewohner.
    Fabel hatte bereits von dem Fall gehört. Wie alle derartigen Verbrechen wiesen die Morde sämtliche Merkmale auf, die für reißerische Schlagzeilen erforderlich waren. Der Mörder, auf den die Kölner Polizei Jagd machte, schlug nur während des Karnevals zu. Die beiden Opfer waren im letzten und vorletzten Jahr umgebracht worden. Aber der ermittelnde Beamte – Oberkommissar Benni Scholz – hatte den Modus operandi des Mörders am zweiten Tatort sofort wiedererkannt. Er hatte seinen Vorgesetzten gewarnt, dass ein weiterer Mord in derselben Karnevalszeit folgen könne, da sich die Verbrechen vielleicht häufen würden. Ein zweiter Mord war ausgeblieben, doch Fabel stimmte mit dem gesichtslosen Kommissar, dem Verfasser des Berichts, darin überein, dass der Mörder erneut zuschlagen würde. In diesem Jahr während des Karnevals.
    Er legte die Akte auf den Couchtisch. Beide Opfer waren Ende zwanzig, weiblich und alleinstehend. Ihre Vorgeschichte ließ wenige Gemeinsamkeiten erkennen. Sabine Jordanski hatte als Friseurin in einem Salon und Melissa Schenker als Softwaredesignerin zu Hause gearbeitet. Jordanski war gebürtige Kölnerin gewesen, Schenker dagegen eine Zugereiste aus Kassel, die sich drei Jahre zuvor in Köln niedergelassen hatte. Die Ermittlung hatte keinen Hinweis auf gemeinsame Freunde oder Bekannte erbracht. Keine Querverbindungen. Abgesehen von der Art ihres Todes.
    Beide Frauen waren erwürgt worden. Es gab Indizien für eine manuelle Erdrosselung und den anschließenden Gebrauch einer Schlinge: der Männerkrawatten, die der Mörder als Kennzeichen um die Kehle seiner Opfer zurückgelassen hatte. Scholz erklärte die mögliche Bedeutung dieses Kennzeichens: Die Weiberfastnacht war ein wesentliches Datum im Kölner Karnevalskalender. Stets am letzten Donnerstag vor der Fastenzeit stattfindend, war sie der Frauenherrschaft vorbehalten. An diesem Tag hatte jede Frau in Köln das Recht, einen Kuss von jedem Mann zu fordern. Außerdem war es Brauch, dass die Frauen den Männern die Krawatte abschneiden durften – ein Symbol dafür, dass die traditionelle Befehlsgewalt von den Männern auf die Frauen übertragen wurde.
    In einer aufgeklärteren kulturellen Umgebung der Gleichberechtigung war der Brauch zum Schabernack geworden. Oberkommissar Scholz meinte jedoch, dass er für den Mörder viel mehr bedeute. Der Täter werde entweder durch einen psychotischen Frauenhass oder durch einen sexuell begründeten Groll auf Frauen motiviert. Laut Scholz ließ sich die postmortale Verstümmelung der Leichen auf diese Weise erklären. Ungefähr ein halbes Kilo Fleisch war aus der rechten Gesäßbacke beider Opfer herausgeschnitten worden. Fabel verstand die Logik des Kölner Beamten, hielt sie jedoch für übereilt. Wahrscheinlich hatte der Mörder mehr Beweggründe, als auf den ersten Blick ersichtlich waren.
    Fabel hatte das Zeitgefühl verloren und merkte erst, dass er sich seit zwei Stunden mit der Akte beschäftigte, als Susanne, die sich den Schlaf aus den Augen rieb, das Wohnzimmer betrat.
    »Ich bin aufgewacht, und du warst weg«, sagte sie gähnend. »Was ist los? Wieder ein Albtraum?«
    »Nein … nein«, log er. »Ich konnte einfach nicht schlafen.«
    Susannes Blick fiel auf die geöffnete Akte. Die auf dem Couchtisch ausgebreiteten Bilder. Tote Gesichter. Gerichtsmedizinische Unterlagen. »Ach so … Was ist das denn?« Ihre Stimme enthielt mehr als eine Spur

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