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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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sich eine Zeit lang unsichtbar machte. Und falls er seine köstlich finstere Eigenschaft erneut ausleben musste, würde er in eine andere Stadt fahren.
    Oliver leerte seine Tasse. Er streifte sich seine Chirurgenhandschuhe aus besonders dickem Latex über und schloss die Manschetten um die Ärmel seines Schutzkittels. Dann öffnete er die Tür und betrat einen Raum, der durch Neonröhren mit einem freudlosen, harschen Licht überflutet wurde. Auf dem Stahltablett lagen bereits sämtliche Messer und sonstigen Geräte, die er benötigte. Der Verwesungsgeruch hing schwach, doch sich verstärkend in der Luft. Oliver kannte den Geruch des Zellverfalls aus den großen, offenen Wunden; die Ansammlung des nicht mehr pulsierenden Blutes zu purpurnen Flecken an den tiefsten Stellen; den durch die Haut sickernden Gestank. Aber wie wissenschaftlich man die Gründe dafür auch erklären und wie professionell die eigene Haltung auch sein mochte, es war immer noch schlicht der Geruch des Todes. Er atmete tief ein, griff nach einem Skalpell mit breiter Klinge und ließ es einen Moment lang über der vor ihm liegenden Leiche schweben, die bereits von klaffenden Schnittwunden gezeichnet war.

FÜNFTES KAPITEL

    25.–26. Januar

    1.

    In der »Speisekammer« gab es keine ruhigen Tage, und Ansgar Hoeffer traf immer vor Schichtbeginn im Restaurant ein. Als Küchenchef hielt er es für seine Pflicht, seinen Einsatz nicht auf die offizielle Arbeitszeit zu beschränken. Schließlich waren es sein Engagement und Können, denen die »Speisekammer« ihren wachsenden Erfolg verdankte. Das Geschäft lief so gut wie nie zuvor in der zehnjährigen Geschichte des Restaurants. Als Ansgar die Leitung der Küche übernommen hatte, war es mittwochs geschlossen gewesen. Nun erfreute es sich die ganze Woche hindurch sowohl mittags als auch abends regen Zulaufs. Die Gäste kamen selbst aus fernen Teilen der Stadt und von noch weiter her, um Ansgars Fusions-Cuisine zu genießen, in der sich die besten deutschen Gerichte mit vielfältigen Einflüssen etwa aus Thailand, Frankreich und Japan verbanden. Das war eine erstaunliche Leistung in Köln, denn in der Stadt waren über dreißig Restaurants von Weltniveau zu finden.
    Auch das der »Speisekammer« angeschlossene Feinkostgeschäft profitierte davon, dass Ansgar dem Restaurant einen besonderen Ruf bei der anspruchsvollen Klientel von Köln verschafft hatte. Dies war nicht unbemerkt und unbelohnt geblieben, und Ansgar gehörte zu den am besten verdienenden Köchen in Köln. Die Eigentümer, Herr und Frau Gallwitz, hatten sogar davon gesprochen, ihn zu ihrem Partner zu machen. Er hatte positiv, doch zurückhaltend auf den Vorschlag reagiert, denn er wusste, dass das Angebot eher geschäftlich als durch eine persönliche Sympathie für ihn begründet war. Ansgar selbst räumte ein, dass er den Eindruck eines kühlen und distanzierten Mannes machte, dessen ganze Leidenschaft sich auf das Kochen zu konzentrieren schien. Aber niemand zweifelte daran, dass die Mehrheit der Gäste ihm folgen würde, wenn er je das Restaurant wechseln sollte.
    Jekaterina, die stellvertretende Küchenchefin, wartete bereits atemlos auf Ansgar. Sie hatte ihre weiße Kleidung noch nicht angezogen und trug ihr bauchfreies T-Shirt. Es betonte die Wölbung ihrer Brüste, und Ansgar versuchte, das Piercing zu übersehen, welches das Fleisch ihres nackten Nabels durchbohrte. Sie schaute ihn mit ihren hellblauen ukrainischen Augen an, die durch ihre morbide Aufregung noch mehr als sonst strahlten.
    »Hast du gehört, was im Biarritz passiert ist?«, fragte sie mit ihrem schweren, aufreizenden Akzent. Ansgar schüttelte den Kopf. Er kannte das Biarritz, aber es gehörte in die Gulaschsuppen-Kategorie: Touristen und verbilligter Mittagstisch.
    »Was ist mit dem Biarritz?«, fragte er und warf einen verstohlenen Blick auf Jekaterinas Brüste.
    »Einer der Küchenangestellten ist ermordet worden. Vorgestern.« Sie nickte bedeutungsvoll, als werde ihre Aussage dadurch glaubwürdiger.
    »Oh?«
    »Zerhackt«, erläuterte Jekaterina. Welch köstliche Stimme.
    »Was meinst du damit?« Ansgar spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Er blickte in Jekaterinas funkelnde blaue Augen. Warum waren die Augen von Ukrainern so hell?
    »Jemand hat ihn mit einem Fleischerbeil umgebracht.« Jekaterina war nun ganz aus dem Häuschen.
    Nein, dachte Ansgar. Nein, nicht das. Alles andere, bloß das nicht. Rede nicht darüber.
    »Es war fürchterlich«, sagte

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