Jan Fabel 04 - Carneval
Dr. Minks im Rahmen einer früheren Ermittlung begegnet. Als Experte für posttraumatischen Stress und phobisches Verhalten hatte Minks eine Angstklinik in Hamburg eingerichtet. Zwar hatte die Polizei Hamburg Maria psychologische Berater zur Verfügung gestellt, doch der Hauptteil ihrer Behandlung war mittlerweile von Dr. Minks übernommen worden. Er war einer von Susannes Dozenten an der Universität München gewesen, und sie schätzte seine Fähigkeiten hoch ein.
»Natürlich kann ich nicht auf die Einzelheiten von Frau Klees Behandlung eingehen«, hatte Minks am Telefon erklärt. »Aber ich weiß, dass sie sehr großen Wert auf Ihre … Beratung legt. Ich meine, nicht nur, weil Sie ihr Vorgesetzter sind. Deshalb dachte ich, ich sollte Sie anrufen.«
»Was für ein Problem gibt es, Herr Doktor?«
»Also … ich hatte wirklich das Gefühl, mit Frau Klee Fortschritte zu machen. Meiner Meinung nach ist es ein großer Fehler, dass sie ihre Therapie abgebrochen hat. Es geht ihr keineswegs gut. Ich rufe an, weil ich hoffe, dass Sie Frau Klee zur Vernunft bringen können.«
»Tut mir leid, Dr. Minks«, erwiderte Fabel. »Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen. Hat Maria ihre Termine etwa nicht eingehalten?«
»Schon seit mehreren Wochen nicht.«
»Sagen Sie, Herr Doktor, haben Sie Maria empfohlen, vorläufig keinen Kontakt mit mir oder ihren anderen Kollegen zu pflegen?«
»Nein …« Minks klang verblüfft. »Warum sollte ich so etwas tun?«
Fabel versprach, dass er versuchen werde, Maria zur Fortsetzung ihrer Therapie zu bewegen. Sie hatte ihn belogen. Nicht nur, was die Therapie, sondern auch, was ihren Aufenthaltsort anging. Und nun wusste Fabel ganz genau, wo sie war.
Er blieb einen Moment lang sitzen, drückte die Hände flach auf seinen Schreibtisch und sah sie geistesabwesend an. Dann griff er nach dem Telefon, um den ersten von drei wichtigen Anrufen zu führen.
2.
Benni Scholz wurde der Karneval allmählich zuwider. Unmittelbar vor der Stadt gab es Hotels, die Zuflucht vor dem Karnevalswahn und dem Zwangsfrohsinn boten. Dort blieb die Ordnung unangetastet, und man garantierte gelassene Vernunft bis zur Fastenzeit. Früher hatte er nie verstanden, warum manche Leute diese Hotels aufsuchten und warum viele Kölner Familien während des Karnevals in Urlaub fuhren. Als Kölner hatte Benni immer geglaubt, dass der Karneval ein Teil seines Charakters sei. Nun aber mussten Fristen eingehalten werden, und der Karnevalsausschuss der Polizei setzte ihm mit E-Mails, Textnachrichten und Anrufen zu. Plötzlich wünschte Benni sich, er wäre in Berlin geboren worden.
Sein Stress wurde noch durch etwas anderes verstärkt: Bis zur Weiberfastnacht blieben ihm nur noch etwas mehr als drei Wochen. Er wusste, dass der Karnevalsmörder erneut zuschlagen würde. Eine weitere Frau würde sterben, falls es ihm nicht gelang, Anhaltspunkte für die Morde der beiden vergangenen Jahre zu finden. Akten waren über seinen Schreibtisch und in einem unordentlichen Bogen über den Fußboden verstreut. Scholz hatte das Gefühl, dass er in dem verfügbaren Material etwas übersah. Er hatte sich mit Serienmördern theoretisch vertraut gemacht. Aber dies war sein erster konkreter Fall, und er kam sich überfordert vor. Als er die Polizei Hamburg erneut angerufen hatte, war ihm mitgeteilt worden, dass Fabel, der Chef der Mordkommission, ausscheiden wolle und nicht an Scholz’ Fall interessiert sei. Er würde die Einzelheiten also noch einmal gründlich durchgehen müssen – allein, ohne Unterstützung durch einen Hamburger Superpolizisten. Scheiß drauf, dachte Scholz, eingebildeter Fischkopf. Scholz war nur ein- oder zweimal in Hamburg gewesen. Eine schöne Stadt, wenn nur die Bevölkerung nicht gewesen wäre. Und das Essen taugte nichts. Es gab nur Fisch oder das grässliche Labskaus.
Scholz hob den Kopf von den Akten und schaute aus dem Fenster seines Büros im Kölner Polizeipräsidium, doch er nahm nichts von der Stadt wahr, die grau und dunkel unter dem launischen Winterhimmel lag. Er schaltete von den Mordermittlungen auf sein anderes Problem um: darauf, dass er den verdammten Karnevalswagen und die Kostüme organisieren musste. Scholz hatte zahlreiche Bücher über den Karneval gelesen und gründlich im Internet recherchiert. Über die Ursprünge der Feier, ihre Bedeutung und das, was sich im Lauf der Jahrhunderte geändert hatte oder gleich geblieben war. Dies konnte der springende Punkt sein: Er machte sich zu viele
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