Jan Fabel 05 - Walküre
die Walküre nicht, dass er tot ist. Falls wir dann herausfinden, wie der Kontakt zu ihr - oder ihnen, wenn es zwei gibt -herzustellen ist, können wir sie erwischen.«
Fabel rieb sich nachdenklich übers Kinn. Die Stoppeln, über die seine Fingerspitzen kratzten, erinnerten ihn daran, dass er sich nicht hatte rasieren können, bevor er zum Drescher-Tatort geeilt war. Und das war die Wohnung nun für ihn: der Drescher-Tatort.
»Kein schlechter Einfall«, sagte er. »Sylvie Achtenhagen war nicht vor der Wohnung, was vermuten lässt, dass bisher niemand eine entsprechende Verbindung hergestellt hat. Ich werde die Presseabteilung entsprechend briefen ... Gut, Werner, versuchen wir's. Als Erstes müssen wir herausfinden, wie Drescher Kontakt mit den Walküren gehalten hat ... Lasst uns seine Wohnung auseinandernehmen.«
5.
»Ich habe Sie noch nie im Fernsehen gesehen«, sagte die alte Frau, während sie das Tablett mit Kaffee und selbst gebackenen Keksen auf den Tisch stellte.
»Ich bin bei einem Satellitensender.« Sylvie lächelte und nahm die Tasse entgegen. Der Kaffee hatte einen Karamell-Nachgeschmack. Rondo Melange. »Wie ich sehe, haben Sie keine Satellitenschüssel. Unser Sender deckt den größten Teil des Nordens ab. Sie sollten sich wirklich eine Schüssel zulegen. Sehen Sie nicht so oft fern?«
»O doch ... Der Apparat läuft den ganzen Tag. Zur Gesellschaft. Und ich würde sehr gern Satellitenempfang haben, aber ich kann ihn mir nicht leisten.« Die alte Frau nahm Platz. »Wen suchen Sie noch?«
Sylvie vermutete, dass ihre Gastgeberin gar nicht so bejahrt war. Vielleicht siebzig. Aber wie viele Frauen ihres Alters hatte sie den Kampf aufgegeben. Sie hatte ein wenig Übergewicht, ihr Körper war erschlafft, und ihre blasse Haut wirkte rau. An der rechten Seite ihres Kinns war ein gerötetes, rundes Ekzem zu sehen.
»Sie haben für das MfS gearbeitet? Damals, in den alten Tagen, Frau Schneeg?«, fragte Sylvie.
»Ach ja ...« Frau Schneeg hob die Hände, und alles, was als Arglist interpretiert werden konnte, verschwand aus ihren Zügen. »Aber mit all den Dingen hatte ich nichts zu tun. Sie wissen schon, mit der Schnüffelei und so weiter. Ich war bloß Verwaltungsangestellte.«
»Das ist mir klar, Frau Schneeg.« Sylvie lächelte. »Natürlich. Aber Sie waren in der Personalabteilung tätig.«
»Ja, Pensionen ... Aufwandsentschädigungen ...«
»Genau. Ich wollte Sie bitten, mir zu sagen, ob Sie jemanden von diesen Leuten kennen ...« Sylvie legte das Blatt auf den Tisch, neben die bestickten Zierdeckchen, den Kaffee und die Kekse.
»Ich möchte wirklich in nichts hineingezogen werden. Sie können sich denken, was ich meine ... Die Leute hier wissen nicht, dass ich im Ministerium gearbeitet habe. Ich bin nach Halberstadt gezogen, nachdem die Mauer gefallen war. Hier habe ich eine Nichte.«
»Ich verstehe, Frau Schneeg.« Sylvie lächelte nicht mehr, sondern runzelte mitfühlend die Stirn. »Und ich verspreche Ihnen, dass niemand etwas erfährt. Ich möchte nur eine dieser Personen ausfindig machen, und niemand braucht je zu erfahren, wie ich an die Informationen gekommen bin. Das heißt, wenn Sie mir überhaupt helfen können. Ich suche nach Personen, die entweder mit Oberst Adebach oder mit Major Drescher zusammengearbeitet haben.«
»Ich weiß nicht ...«
»Bei meinem Sender würde man sehr dankbar sein, wenn Sie uns helfen würden«, sagte Sylvie. »Wir könnten Ihnen bestimmt eine Satellitenbox und eine -Schüssel schicken ... und ein paar Abos ...«
Frau Schneeg musterte Sylvie eindringlich und antwortete dann: »Lassen Sie mich einen Blick auf Ihre Liste werfen.«
6.
Sie saßen in Dreschers Wohnzimmer, und alle drei schauten mit der leeren Miene dumpfer Frustration vor sich hin.
»Die Sucherei haben wir doch schon hinter uns«, sagte Karin Vestergaard zu Fabel.
»Irgendetwas muss hier sein«, stöhnte er.
»Wir suchen nicht an den richtigen Stellen«, klagte Werner. »Wir sind nicht verschlagen genug. So ist das, wenn man in einer Demokratie aufwächst.«
Fabel schnippte mit den Fingern. »Werner, du bist ein Genie. Du hast völlig recht. Wir wissen nicht, wo wir suchen sollen. Und wie.« Er griff nach seiner Brieftasche und holte die Visitenkarte hervor, die Martina Schilmann ihm gegeben hatte. Auf der Rückseite stand ihre handgeschriebene Mobiltelefonnummer, und er tippte sie in die Tastatur seines Handys ein.
»Martina ... Hier ist
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