Jan Fabel 05 - Walküre
Jan Fabel.«
»Hallo, Jan. Was kann ich für dich tun?«
»Lorenz, dein sächsischer Kumpel. Du hast doch gesagt, dass er bei der Volkspolizei war.«
»Ja und?«
»Hat er nach dem Fall der Mauer weiter gedient? In einer der neuen Polizeibehörden?«
»Nein.« Martinas Stimme klang argwöhnisch. »Was soll das alles?«
»Warum hat er seine Polizeilaufbahn nicht fortgesetzt?«
»Jan«, erwiderte sie seufzend, »ich merke schon, worauf du hinauswillst. Ich kann dir Zeit sparen. Die Antwort lautet: Ja, das war er. Deshalb konnte er bei keiner der neuen Polizeibehörden unterkommen. Warum willst du das wissen?«
»Ich bin in einer Wohnung, die ihre Geheimnisse nicht preisgibt. Der Mieter war früher bei der Stasi. Ich muss wissen, wo ich suchen soll.«
Am anderen Ende der Leitung kam es zu einem längeren Schweigen.
»Gib mir die Adresse«, sagte Martina schließlich. »Ich fahre ihn selbst bei dir vorbei.«
Martina Schilmann traf eine halbe Stunde später ein. Fabel hatte die Schutzpolizisten von der Straße abberufen lassen, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Im Digitalzeitalter der Mobiltelefone, die Fotos und Videos aufnehmen konnten, dauerte es nie lange, bis sich jemand ans Fernsehen oder an die Zeitungen wandte. Die Stadt schlief nicht mehr, und eine vielköpfige Polizeipräsenz auf der Straße würde bald weithin zur Kenntnis genommen werden.
Fabel hatte die Schutzpolizisten im Erdgeschoss angewiesen, Martina Schilmann und Lorenz Dühring sofort zum Penthouse zu geleiten.
Martina hatte sich anscheinend einen freien Tag genommen, denn sie trug Jeans, einen dicken Pullover und eine schenkellange Lederjacke. Sie hatte ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, und ihr Gesicht war ungeschminkt. Dadurch sah sie jünger und natürlicher aus, und Fabel erinnerte sich daran, warum er sich zu ihr hingezogen gefühlt hatte. Sie schien seine Gedanken zu lesen und lächelte schüchtern.
Lorenz - riesig und düster - trampelte hinter ihr her.
»Dies ist Politidirektor Karin Vestergaard von der Dänischen Nationalpolizei«, erklärte Fabel auf Englisch. »Wir bearbeiten diesen Fall gemeinsam.« Die beiden Frauen schüttelten einander die Hand. Ein wenig kühl, dachte Fabel. Die Dynamik weiblicher Beziehungen blieb ihm ein Rätsel.
»Lorenz spricht leider kein Englisch«, sagte Martina. »Der arme Kerl musste sich in der Schule mit Russisch abfinden.«
Fabel wandte sich an Karin Vestergaard. »Lorenz gehörte in der früheren DDR zur Volkspolizei. Er konnte nach der Wende nicht in eine der neuen Polizeidienststellen eintreten, weil nur Angehörige der Volkspolizei, die keine Verbindung zur Stasi hatten, ihre Laufbahn fortsetzen durften.«
»Er gehörte zur Stasi?«
»Sagen wir, er war einer ihrer kleinen Helfer«, schaltete sich Martina ein. »Er ist von ihr ausgebildet worden, und genau darum geht es Jan doch wohl. Übrigens zu deiner Information, Jan: Ich wusste nicht, worin Lorenz verwickelt war. Allerdings hatte ich vermutet, dass er als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gearbeitet hat. Aber seien wir ehrlich, das ist eine Qualifikation, die in meiner Branche sehr nützlich sein kann. Ich habe ihn auf der Fahrt hierher gefragt, ob er an Hausdurchsuchungen teilgenommen hat, was er bestätigte.«
»Frau Schilmann hat mir erzählt, dass hier ein früherer Stasi-Offizier gewohnt hat«, meldete sich Lorenz auf Deutsch zu Wort.
»Richtig«, erwiderte Fabel. »Ein HVA-Major.«
»HVA?« Lorenz rieb sich mit Zeigefinger und Daumen über das schwere Kinn. »Die Jungs verstanden sich darauf, Sachen zu verstecken. Sind Sie sicher, dass er hier etwas aufbewahrt hat? Würde er heikle Dinge nicht anderswo deponieren?«
»Mag sein, aber ich bin sicher, dass er von hier aus tätig war.«
»Vermutlich hat er sich hier einigermaßen ungefährdet gefühlt«, meinte Lorenz. »Schließlich ist das nicht wie in der DDR. Er muss geglaubt haben, dass man diese Wohnung nie durchsuchen würde.« Sein Blick fiel auf die Bücher in den Regalen. »Es wird schneller gehen, wenn ich keine Rücksicht zu nehmen brauche. Ist das ein Problem?«
»Tun Sie, was Sie tun müssen«, sagte Fabel.
Lorenz benötigte weniger als eine halbe Stunde.
»Wie ich erwartet habe«, erklärte er in seinem sächsischen Bariton, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte. »Er hat sich hier sicher gefühlt. Sie hatten recht, dass ihm diese Wohnung als Operationsbasis gedient hat. Deshalb habe ich es
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