Jan Fabel 05 - Walküre
Schützlinge aufstocken.«
»Ist das nicht unwahrscheinlich?«, fragte Werner. »Was du da beschreibst, ist ein äußerst professionelles und diszipliniert arbeitendes Unternehmen. Er würde keine Verrückte einstellen.«
»Er könnte gedacht haben, dass sie keine Verrückte war, als sie unter seinem Befehl stand. Dass er sie unter Kontrolle halten könne, wenn er ihr einen Funktionsrahmen lieferte.«
»Ach ja«, schnaubte Anna, »so ist das wohl. Jede Frau braucht einen Mann, um komplett zu sein.« Bevor Fabel antworten konnte, fuhr sie fort: »Ich glaube, du liegst völlig daneben, Chef. So falsch kann er sie gar nicht eingeschätzt haben. Sieh dir doch an, was sie mit ihm angestellt hat.«
»Aber vergiss nicht die Mittel, die ihr innerhalb von Wochen nach der Flucht aus der Psychiatrie zur Verfügung standen. Wenn es nicht Drescher war, wer hat ihr dann alles besorgt, was sie benötigte?«, gab Fabel zu bedenken. Als niemand antwortete, fragte er: »Was gibt's noch?«
»Ich habe Theo Wangler Beine gemacht«, berichtete Anna, »und er hat mir ein Standfoto des falschen Taxis von der Reeperbahn-Überwachungskamera besorgt. Aber trotz aller Versuche, es zu vergrößern, nützt es uns wenig. Der Mercedes hatte falsche Nummernschilder, und man kann das Gesicht der Fahrerin für eine Identifikation nicht deutlich genug erkennen. Im Grunde kann man nicht einmal sicher sein, ob ein Mann oder eine Frau am Lenkrad saß ... Im Hanse-Viertel hatten wir mehr Glück. Du hattest recht, Jens Jespersen hat dort Mittag gegessen. In dem Kellerrestaurant selbst sind keine Kameras installiert, doch wir haben das hier besorgt ...«
Anna reichte Fabel den Abzug eines TV-Bildes. Darauf wartete Jespersen an dem gläsernen Lift im Innenhof unweit des Restaurants. Neben ihm stand eine Frau mit einem wirren blonden Haarschopf. Ihr Gesicht war teilweise von der Kamera abgewandt, und die Einzelheiten der Vergrößerung wirkten verschwommen. Immerhin ließ sich feststellen, dass Jespersen und die Frau in ein Gespräch vertieft waren.
»Hast du noch bessere Bilder?«, wollte Fabel wissen.
»Nein. Ein paar Aufnahmen ihres Rückens, das ist alles. Danach trennten sich ihre Wege: Er ging auf den Neuen Wall hinaus und sie in die Poststraße. Das heißt jedoch nicht, dass sie sich nicht für später verabredet hatten. Immerhin konnten wir anhand der Sicherheitsaufnahmen ihre Größe berechnen. Ungefähr einen Meter dreiundsiebzig oder vierundsiebzig, je nach der Höhe ihrer Absätze.«
»Schick jemanden zu dem Restaurant, um ...«
»Schon geschehen«, unterbrach Anna. »Ich habe jemanden beauftragt, ein Foto von Jespersen und einen Abzug davon mitzunehmen ...«, sie deutete auf das TV-Bild, »... und mit allen Angestellten zu sprechen, die zu der Zeit Dienst hatten. Bis jetzt ohne Ergebnis.«
»In Ordnung«, sagte Fabel. »Wir gehen noch einmal in Dreschers Wohnung. Diesmal nehmen wir sie auseinander. Wenn die Walküren wirklich existieren und wenn wir Margarethe Paulus außer Acht lassen können, dann sind noch zwei dort draußen. Eine davon - oder vielleicht beide - hat für Drescher gearbeitet. Nun sind sie führungslos. Anscheinend haben wir seit Jahren zwei bestens ausgebildete Berufsmörderinnen direkt vor der Nase. Nun sind sie auf sich allein gestellt und vielleicht völlig verzweifelt. Das ist keine Vorstellung, die mich beruhigt. Was ist los, Werner?« Fabel hatte die nachdenkliche Miene seines Stellvertreters bemerkt.
»Was teilen wir der Presse über den Mord mit?«, fragte er. »Kein Journalist hat draußen gewartet, als ich abfuhr.«
»Worauf willst du hinaus?«, hakte Fabel nach.
»Wenn Gerdes dieser Major Drescher ist, dann war er ein Spion nach Ausbildung und Neigung.«
»Also?«
»Also ... wette ich, dass er, wenn er ein Geschäft mit Auftragsmorden betrieb, seine Angestellten wie eine Spionagezelle mit strikten Befehls- und Berichtsstrukturen leitete. Sie müssen eine enge Beziehung zu ihm gehabt haben, aber ich bin sicher, dass sie sich seiner Wohnung nie näherten.«
»Ich kapiere«, sagte Anna, plötzlich munter geworden. »Ein Mord in dem Wohnblock oder in der Straße hat also keine Bedeutung für die Walküre, es sei denn, der Name Gerdes oder Drescher wird damit verknüpft.«
»Genau«, bestätigte Werner. »Ich wette, sie kennt nicht einmal den Namen Gerdes.« Er wandte sich an Fabel. »Wenn wir nun den Fall >vergessen< oder ihn eine Zeit lang tarnen? Dann weiß
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