Jan Fabel 05 - Walküre
Aber als sie die diensthabende Beamtin am Schalter um ein Gespräch mit Herrn Kaminski bat, musste sie sich mit der Antwort abfinden, dass er nicht zur Verfügung stehe. Auch für den Rest des Tages nicht. Sylvie versuchte, der Beamtin ein paar Einzelheiten zu entlocken, doch ohne Erfolg.
Als sie sich wieder ins Auto setzte, klingelte ihr Handy. Es war Ivonne, ihre Assistentin: Die Polizei hatte die Identität des letzten Opfers bekanntgegeben: Armin Lensch, 29, Angestellter der NeuHansa Group.
»Mein Gott, langsam geht's ans Eingemachte«, sagte Sylvie. Die NeuHansa Group gehörte Gina Bronsted, die nun für das Amt des Ersten Bürgermeisters kandidierte. Mithilfe von NeuHansa hatte Gina Bronsted überall dort die Hand im Spiel, wo es sich lohnen mochte. Eine ihrer Einflusssphären war Han-Sat TV, Sylvies Brötchengeber. Gerüchten zufolge hatte Bronsted Andreas Knabbes Start von HanSat finanziert.
»Richtig«, bestätigte Ivonne. »Anscheinend arbeitete Lensch für eine Tochterfirma, Norivon. Das ist NeuHansas Sparte für Umwelttechnologie.«
»Wirklich interessant ...« Sylvie blickte durch die Windschutzscheibe, ohne etwas wahrzunehmen. Ihr rasten ein Dutzend mögliche Verbindungen durch den Kopf. Gina Bronsted war nicht nur eine erfolgreiche Politikerin, sondern auch Multimillionärin. Ihre Kandidatur für das Hamburger Amt des Ersten Bürgermeisters beruhte auf einem Wahlkampfprogramm, in dem sie versprach, dass sie die Stadt wie ein Geschäft führen werde. Wenn ein Angestellter einer ihrer Firmen etwas mit den Morden zu tun hatte, wiewohl als Opfer, so war das nicht die Art Publizität, die sie sich wünschte. »Ivonne, ich brauche alles verfügbare Material über die NeuHansa Group und Gina Bransted. Wende dich an ein paar Leute innerhalb des Unternehmens und finde heraus, ob der Tote irgendeine Bedeutung für die Gruppe hatte. Lass alles, was du in die Finger bekommst, entweder an meine persönliche E-Mail-Adresse schicken oder heute Abend per Kurier zu meiner Wohnung bringen. Ich werde ungefähr ab 20 Uhr zu Hause sein.«
»Wird gemacht. Übrigens, Herr Knabbe sucht dich.«
Sylvie lächelte vor sich hin: Ivonne war eine großartige Assistentin. Vor allem aber hasste sie ihren gemeinsamen Chef genauso sehr, wie Sylvie es tat. Ivonnes kleine Rebellion bestand darin, dass sie seine amerikanisierte Ungezwungenheit zurückwies und ihn nie als Andreas anredete und ihn auch im Gespräch mit anderen nie bei seinem Vornamen nannte.
»Was hast du zu ihm gesagt?«, fragte Sylvie.
»Dass du auf einer heißen Fährte bist. Außerdem habe ich behauptet, dass der Akku deines Handys momentan schwach sei, weshalb du es zeitweilig abgestellt hast und nicht zu erreichen bist.«
»Ivonne, du bist ein Ass.«
»Und ob. Oh, da war noch ein Anruf. Ein Mann wollte unbedingt mit dir reden, hat aber keinen Namen hinterlassen. Er will sich später noch einmal melden. Ehrlich gesagt, er klang ein bisschen gruselig.«
Sylvie beauftragte ihre Assistentin, Knabbe mitzuteilen, dass sie am nächsten Morgen in aller Frühe im Büro sein werde. Wegen des anonymen Anrufers solle Ivonne sich keine Sorgen machen. Wahrscheinlich sei es irgendein Spinner gewesen. Sie beendete das Gespräch, schwenkte in den Verkehr auf der Reeperbahn ein und fuhr zurück in die Stadt.
6.
Fabel wurde von Renate angerufen, als er gerade mit Anna und Werner in den fünften Stock des Präsidiums fahren wollte, um van Heiden aufzusuchen. »Hast du schon mit Gabi gesprochen?«, fragte Renate ohne Umschweife.
»Noch nicht. Das weißt du doch. Warum rufst du mich bei der Arbeit an, um mir eine Frage zu stellen, deren Antwort du kennst? Ich treffe mich am Donnerstag mit Gabi. Dann werde ich mit ihr reden.«
»Du hättest mit ihr telefonieren können.«
»Das ist eine Sache, über die ich nicht am Telefon mit ihr sprechen möchte. Ich wähle den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort. Versuchs auch mal, Renate. Außerdem ist die Frage von Gabis Berufswahl nicht gerade dringend. Sie hat noch nicht einmal ihr Abitur.«
»Probleme?«, fragte Werner, als Fabel den Hörer niederlegte. Anna und Werner hatten während der Auseinandersetzung verlegen in Fabels Büro gestanden.
»Der schlimmsten Art. Renate. Gabi denkt über eine Laufbahn bei der Polizei nach. Ich übe einen schlechten Einfluss auf sie aus, meint Renate.«
»Ich hätte mir nicht gewünscht, dass eine meiner Töchter diese Arbeit macht«, erklärte
Weitere Kostenlose Bücher