Jan Fabel 05 - Walküre
Werner.
»Tatsächlich? Und wenn du einen Sohn gehabt hättest?«, fragte Anna.
»Du weißt, dass ich keinen Sohn habe. Also bin ich mir unschlüssig. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, Anna.«
Fabel atmete tief durch. »Seid ihr so weit? Dann lasst uns unter den Erhabenen wandeln.«
Sie warteten fünf Minuten lang vor van Heidens Büro, wurden jedoch nicht hineingerufen. Stattdessen kam van Heiden heraus. Er war noch dabei, sich seine Anzugjacke überzustreifen.
»Folgen Sie mir.« Van Heiden warf einen missbilligenden Blick auf Annas Jeans und T-Shirt.
Das Hamburger Polizeipräsidium hatte die Form eines gigantischen Polizeisterns, des Symbols aller Polizeibehörden in Deutschland. Das gesamte Präsidium war um einen runden, zum Himmel geöffneten Innenhof angelegt. Alle Bürogruppen, darunter die der Mordkommission, gingen als Strahlen des Sterns von den kreisförmigen Korridoren ab. Fabel, Werner und Anna folgten van Heiden den Bogen der fünften Etage entlang, bis sie die Türen der Präsidialabteilung erreichten. Hier lagen die Amtszimmer von Hugo Steinbach, dem Polizeipräsidenten, und seinen Stellvertretern.
»Polizeipräsident Steinbach hat den Wunsch geäußert, an diesem Treffen teilzunehmen«, erklärte van Heiden. Er schwieg eine Sekunde lang und wandte sich Fabel zu. »Hören Sie, Jan, ich lasse mich nicht gern auf dem falschen Fuß erwischen. Was haben Sie Herrn Steinbach mitgeteilt?«
»Nichts«, antwortete Fabel. »Ich dachte, Sie ...«
Van Heiden schüttelte den Kopf. »Sieht so aus, als wären wir beide auf dem falschen Fuß erwischt worden. Mal sehen, was los ist.«
In der Präsidialabteilung wurden sie nicht in Steinbachs Büro weitergeleitet, sondern direkt ins Konferenzzimmer geschickt. Zu seiner Überraschung stellte Fabel beim Eintreten fest, dass Karin Vestergaard neben Hugo Steinbach am Konferenztisch saß. Der Polizeipräsident stand auf, um van Heiden und dann Fabel die Hand zu schütteln. Steinbach war in vieler Hinsicht das Gegenteil von van Heiden, der nichts anderes als ein Polizist hätte sein können und es irgendwie schaffte, seine elegant geschnittenen Hugo-Boss-Anzüge wie Uniformen zu tragen. Hugo Steinbach dagegen sprach leise und hatte eine leutselige, lockere Art. Seiner Erscheinung nach hätte man den Hamburger Polizeipräsidenten für einen Lehrer oder einen Hausarzt vom Lande halten können. Tatsächlich hatte Steinbach eine für einen Beamten seines Ranges höchst ungewöhnliche Karriere hinter sich. Er war nicht gleich in den gehobenen Dienst eingetreten, sondern hatte als Streifenpolizist begonnen und sich auf der Karriereleiter emporgearbeitet. Fabel wusste, dass die Leitung der Berliner Mordkommission eine der Stationen auf Steinbachs Weg gebildet hatte. Er respektierte seinen Vorgesetzten als Beamten und brachte ihm persönliche Sympathie entgegen.
»Ich weiß, Sie wollten mit Kriminaldirektor van Heiden über die Themen sprechen, die Frau Vestergaard gestern angeschnitten hat, aber ich dachte, wir sollten uns gemeinsam darüber unterhalten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Jan.«
»Guten Tag, Frau Vestergaard«, sagte Fabel auf Englisch.
»Ich hatte angenommen, dass wir die Sache später erörtern würden, weil ich zuerst Herrn van Heiden unterrichten wollte, wie Herr Steinbach erwähnt hat.«
»Leider haben sich die Dinge inzwischen weiterentwickelt«, erwiderte Karin Vestergaard ohne das geringste Bedauern in der Stimme. »Neue Informationen sind zutage getreten, und ich hielt es für angemessen, Herrn Steinbach einzubeziehen.«
»Warum nehmen wir nicht alle Platz?«, unternahm Steinbach den offensichtlichen Versuch, die Spannung zwischen Fabel und Vestergaard zu mindern. »Und vielleicht sollten Sie Herrn van Heiden zunächst auf den aktuellen Stand bringen.«
Nachdem sie sich hingesetzt hatten, umriss Fabel die Theorie der dänischen Polizistin über die in Hamburg ansässige Auftragsmörderin und über Jespersens unnatürlichen Tod. Karin Vestergaard hörte sich Fabels auf Deutsch vorgetragene Erklärungen schweigend an; ihre Miene war so unergründlich wie am Vortag.
»Wie sicher können wir sein, dass die sogenannte Walküre in Hamburg wohnt?«, fragte Steinbach, als Fabel geendet hatte.
»Bei allem Respekt gegenüber Frau Vestergaard und ihrem verstorbenen Kollegen - es gibt absolut keinen Beweis dafür, dass die Walküre überhaupt existiert.« Fabel musterte die Dänin erneut. Nichts deutete
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