Jan Fabel 05 - Walküre
Organisation, die an Halvorsens Tätigkeit Anteil nahm. Auch PST, die norwegische Sicherheitsagentur, und Okokrim, das Büro für Wirtschafts- und Umweltverbrechen, waren sehr an Halvorsen interessiert. Beide arbeiteten mit ihm zusammen - hauptsächlich weil sie wussten, dass er ihnen seine Erkenntnisse übermitteln würde.«
»Man scheint sich Ihnen gegenüber sehr offen geäußert zu haben«, bemerkte van Heiden.
»So ist das in Skandinavien eben.« Karin Vestergaard zuckte die Achseln. »Das Nordische Polizeiabkommen ist seit 1966 in Kraft und wurde 2002 ausgeweitet. Wir haben viel mehr Freiheit, uns informell über unsere Grenzen hinweg auszutauschen. Organisiertes Verbrechen, Rechtsextremismus und Ähnliches beschränken sich ja gewöhnlich nicht nur auf eines der Mitgliedsländer.«
»Haben wir wenigstens Hinweise darauf, womit sich Halvorsen gerade beschäftigte?«, fragte Fabel.
»Ohne seine Dateien oder deren Kopien, nein. Im Laufe der Jahre hat Halvorsen ziemlich viele wichtige Personen entlarvt, einflussreiche Personen. Er hatte gelernt, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Aber jedenfalls haben wir ein paar Theorien. Eine besagt, dass er den Frauenhandel zu seinem Thema gemacht hat. Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat Norwegen zurzeit den Vorsitz der Interpol-Arbeitsgruppe Frauenhandel, und vielleicht wollte Halvorsen deshalb einen Artikel darüber schreiben. Ein oder zwei meiner Kollegen glauben auch, dass er kurz davor war, ein großes Umweltverbrechen durch irgendeinen Konzern - oder sogar eine Regierung - aufzudecken. Zurzeit sind wir dabei, eine Liste mit den Informationen zusammenzustellen, die er von Okokrim angefordert hatte. Wir sind uns ziemlich sicher, dass seine Enthüllungen, worauf sie sich auch beziehen mochten, etwas mit Dänemark zu tun hatten. Er machte mehrere Reisen nach Kopenhagen und scheint ein besonderes Interesse an der Öresundregion gehabt zu haben. Zum Beispiel wissen wir, dass er an der Universität Kopenhagen Nachforschungen über die politisch-wirtschaftliche Identität der Region anstellte.«
»Entschuldigung«, unterbrach Steinbach stirnrunzelnd. »Vielleicht liegt es an meinem Englisch ...«
»Die Oresundregion gehört teils zu Dänemark, teils zu Schweden«, erläuterte Vestergaard, die nun langsamer sprach. »Es ist die Umgebung der neuen Brücke zwischen Dänemark und Schweden. Historisch gesehen stand dieser schwedische Landesteil unter dänischer Herrschaft. Ähnlich wie früher Schleswig-Holstein.«
»Warum war Halvorsen gerade an diesem Gebiet interessiert?«, fragte van Heiden.
»Keine Ahnung. Es hat vielleicht keine besondere Bedeutung. Wie wir wissen, hatte Halvorsen ein Interesse an Euro-Regionen, also an Gebieten innerhalb der neuen EU, die nicht von nationalen Grenzen markiert werden. In dem Bereich Schwedens, der zur Oresundregion gehört, finden etliche soziale und linguistische Debatten statt. Die Mehrheit der Sprachwissenschaftler vertritt den Standpunkt, dass die Schonen einen ostdänischen Dialekt sprechen, während andere meinen, es sei ein südschwedischer Dialekt. Der entscheidende Punkt ist die in diesen Debatten vorherrschende Auffassung, dass sich Europa in von den Bewohnern selbst identifizierte Einheiten statt in traditionelle nationale Gebiete teilt. Man könnte zum Beispiel argumentieren, dass Hamburg hinsichtlich seiner Identität und Kultur mehr mit Dänemark als mit Bayern gemeinsam hat.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein sensationelles Thema für Halvorsen gewesen wäre, ob ein paar Schweden mit einem dänischen oder schwedischen Akzent sprechen«, bemerkte Fabel.
»Ich auch nicht«, sagte Karin Vestergaard abschätzig. »Und seine Besuche in Kopenhagen und in der Region haben vielleicht überhaupt nichts mit seinem Tod zu tun. Aber Halvorsens Hauptinteresse galt dem Neofaschismus. Die Identitätsfrage der Schonen beschränkt sich nicht darauf, ob sie Dänen oder Schweden sind. Es gibt mehrere rechtsextreme Gruppen, die Autonomie für die Region anstreben und alle Muslime nach >Schweden< ausweisen wollen.«
Sie wurde durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Steinbach griff nach dem Apparat. »Es ist für Sie.« Er hielt Fabel den Hörer hin.
»Herr Fabel, hier ist Möller. Ich bin gerade dabei, den Autopsiebericht über Jespersen an Ihr Büro zu schicken, aber ich dachte, dass Sie eine Zusammenfassung hören möchten.«
»Dafür bin ich sehr dankbar, Herr Doktor.
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