Jan Fabel 05 - Walküre
Ich nehme an, dass unser Verdacht gerechtfertigt war?«
»Genau wie Ihre nicht sehr charmante dänische Kollegin vermutet hat ... Wussten Sie übrigens, dass sie direkt mit mir Kontakt aufgenommen und mich belehrt hat, worauf ich achten soll?«
»Nein, das wusste ich nicht«, sagte Fabel und schaute Karin Vestergaard über den Konferenztisch hinweg wütend an. »Entschuldigen Sie bitte.«
»Davon abgesehen«, fuhr Möller fort, »hatte sie recht. Ich habe die Einstichstelle einer Injektionsnadel gefunden. Meinem Eindruck nach ist es eine bewusst verborgene Einstichstelle. In seiner Leistengegend. Ich hätte sie übersehen, wenn ich nicht gezielt danach Ausschau gehalten hätte.«
»Und was ist ihm eingespritzt worden?«
»Wir müssen den vollständigen toxikologischen Befund abwarten, aber ich bin meinem Instinkt gefolgt und habe selbst eine Blutprobe getestet. Ich habe nach Anzeichen von Hyperkaliämie gesucht und sie auch gefunden.«
»Und das bedeutet?«
»Einen erhöhten Kaliumspiegel. Was immer ihm injiziert wurde, ließ den Kaliumgehalt in seinem Körper ansteigen. Das muss zur Hyperkaliämie, dann zur Arrhythmie und schließlich zum Herzstillstand geführt haben. Dafür könnte eine Reihe - oder eine Kombination - von Stoffen verantwortlich sein. Aber ich habe toxikologische Filter für Kaliumchlorid und Suxamethoniumchlorid einbezogen.«
»Wir brauchen nicht mehr zu spekulieren«, sagte Fabel, nachdem er aufgelegt hatte. »Es sieht so aus, als würden wir nun bei einer Mordermitlung zusammenarbeiten, Frau Vestergaard.«
7.
Ute Cranz inspizierte sich im Spiegel. Es war, als hätte sie eine Fremde vor sich. Sie war groß und schlank. Unter der hochwertigen Kleidung verbarg sich ein elastischer, glatter Körper. Sie hatte regelmäßig viele Stunden damit verbracht, ihn kräftig, geschmeidig und graziös werden zu lassen. Aber sie fühlte sich getrennt von ihrem Körper, losgelöst von der Person im Spiegel, die ihren Blick kalt und ausdruckslos erwiderte.
Als kleines Mädchen war Ute, ebenso wie ihre Schwester, eine vorzügliche Turnerin gewesen. Sie hätte ein hohes Niveau erreichen und sich an internationalen Wettkämpfen beteiligen können, doch ihre Eltern, die darin eine unnötige Quälerei sahen, stellten sich dagegen. Genieße deinen Sport, hatte ihr Vater ihr einmal geraten, doch lass nicht zu, dass sie um einer Lüge willen deinen Körper misshandeln und deine Gesundheit schädigen. Damals hatte sie ihn nicht verstanden, aber nun wusste sie, was ihrer Schwester angetan worden war. Margarethe hatte ihr davon erzählt. Bei jedem Besuch ein wenig mehr, von immer neuen Schrecken.
Die Funktionäre hatten Margarethes Leben gestohlen. Es war wie eine Vergewaltigung gewesen. Nein, schlimmer. Sie hatten sie zerstört, sie ihrer Menschlichkeit beraubt. Und dann, als klar wurde, dass Margarethe ihre Anforderungen nicht erfüllen konnte, hatten sie das Mädchen verstoßen.
Ute wandte sich vom Spiegel ab und durchquerte das Wohnzimmer bis zu dem Fenster, das auf die Straße hinunterblickte. Noch kein Anzeichen. Sie schaute auf ihre Uhr. Ein paar Minuten darüber hinaus. Sie kehrte zum Spiegel zurück, trug ein wenig Make-up auf und glättete ihr Haar mit den Händen.
Sie hatte sich sorgfältig überlegt, welche Kleidung sie tragen würde: elegant, ohne für einen Mittwochnachmittag übertrieben zu wirken. Für genau diesen Mittwochnachmittag, wenn Herr Gerdes nach Hause kam. Er wohnte in der obersten Etage, in dem Apartment mit Dachterrasse. Wie Ute in Erfahrung gebracht hatte, war Herr Gerdes alleinstehend, aber sie wusste nicht, ob er geschieden, Witwer oder eingefleischter Junggeselle war. Ein wirklich ruhiger Nachbar. Die einzigen Geräusche, die sie je aus seiner Wohnung hörte, waren musikalischer Art - Brahms und manchmal Bruch -, und auch die hörte sie nur hin und wieder, wenn sie zu ihrem eigenen Apartment hinaufging.
Ute legte die Hand auf den Messinggriff, öffnete behutsam die Tür und lauschte. Nach einem Moment hörte sie, wie die Haustür unten ins Schloss fiel und wie sich Schritte auf der Treppe näherten. Sie trat hinaus, gerade als er ihren Absatz erreichte.
»Oh, guten Tag, Frau Cranz«, begrüßte er sie lächelnd. Er trug einen dicken Rollkragenpullover unter einer hochwertig wirkenden Tweedjacke. In der einen Hand hielt er helle Schweinslederhandschuhe. »Kalt ist es heute. Wollen Sie hinaus?«
»Ich bin froh, dass ich Sie
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