Jan Fabel 05 - Walküre
Decke auf den Bürgersteigen. Fabel durchquerte die Stadt und den Elbtunnel nach Hamburg-Harburg.
Die Sabinerinnen-Stiftung hatte ihre Büroräume in einem alten Gebäude, das an der Kreuzung von zwei belebten Harburger Straßen lag. Das Haus war mit prächtigem Art deco geschmückt, das jedoch durch zahlreiche Graffiti an den Wänden abgewertet wurde. Die Stiftung nahm mehrere Zimmer im Erdgeschoss ein. Fabel hatte angerufen, um einen Termin zu vereinbaren, doch als er eintrat, konnte er keinen Empfangsbereich entdecken. Aus irgendeinem Grund hatte er eine solche Formlosigkeit erwartet. Vier Frauen und zwei Männer, die meisten in Telefongespräche vertieft, arbeiteten an verschiedenen Schreibtischen. Eine große, attraktive Frau mit kurzem dunklem Haar, die er von den Fotos als Petra Meissner kannte, stand auf und kam auf ihn zu.
»Ich habe Ihre Nachricht erhalten, Herr Hauptkommissar.« Sie streckte die Hand aus und lächelte. Ohne Freundlichkeit, dachte Fabel. »Hier ist es ein bisschen chaotisch. Aber um die Ecke gibt es ein Cafe. Würde es Ihnen etwas ausmachen?«
»Nicht das Geringste.« Fabel trat zur Seite, damit sie vorangehen konnte.
»Ich nehme an, Ihr Besuch hat mit Jakes Tod zu tun«, sagte Petra Meissner. »Ich habe damit gerechnet, dass sich jemand meldet. Besonders nachdem die grässliche Frau vom Fernsehen hier war.«
»Lassen Sie mich raten - Sylvie Achtenhagen?«
»Ihre Wege haben sich gekreuzt?«
»So könnte man es ausdrücken. Frau Achtenhagen ist sehr beharrlich.«
»In meinem Fall hatte ihre Beharrlichkeit wenig Erfolg.« Ihre Miene verhärtete sich, und Fabel vermutete, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. »Ich habe sie zum Teufel gejagt. Die Art, wie Jake starb ... Das war tragisch. Und widerwärtig. Die Stiftung kann auf eine solche Art von Reklame gut verzichten.«
»Genau wie seine Frau und Kinder.«
»Natürlich.« Sie rührte ihren Latte macchiato um und leckte den Schaum vom Löffel.
»Wie gut kannten Sie Herrn Westland?«
Petra Meissner lachte zynisch. »Ich hatte nicht gedacht, dass Sie wirklich solche Fragen stellen. Höchstens im Film. Wenn Sie wissen wollen, ob ich je ein Verhältnis mit Jake hatte, warum fragen Sie mich dann nicht direkt?«
»Schön. Hatten Sie ein Verhältnis mit Jake Westland?«
»Nein. Trotz der Behauptungen der Skandalpresse in Großbritannien. Jake hatte kein derartiges Interesse an mir. Und ich kann Ihnen versichern, dass Jake Westland ganz und gar nicht mein Typ war. Ich nehme an, dass Sie einiges über ihn herausgefunden haben?«
»Natürlich.«
»Dann werden Sie wissen, dass ihn die meisten für einen verlogenen, arroganten Drecksack hielten. Und großteils hatten sie recht. Aber für die Sabinerinnen-Stiftung hat er sich rückhaltlos engagiert, das können Sie mir glauben. Daran war nichts Verlogenes.«
»Warum gerade für Ihre Stiftung?«
»Das weiß ich nicht, und ich habe ihn auch nicht danach gefragt. Die Sabinerinnen-Stiftung unterscheidet sich von anderen Wohltätigkeitsorganisationen. Bei uns geht es nicht um Hunger- oder Katastrophenhilfe im herkömmlichen Sinne, über die man sprechen kann und gegen die man gern etwas unternimmt. Unsere Arbeit dagegen - und das, worüber wir reden - führt die Leute auf ein Gebiet, dem sie fernbleiben wollen. Aber manche haben gute Gründe, ihm nicht fernzubleiben. Ich bin sicher, auch Jake hatte sehr gute Motive dafür, sich so nachdrücklich für die Sabinerinnen-Stiftung einzusetzen. Vielleicht war er aufrichtig empört, vielleicht kannte er ein Opfer einer Kriegsvergewaltigung. Jedenfalls gab es für mich keinen Grund, seine Motive infrage zu stellen. Ich war dankbar für die Unterstützung, denn Jake Westland war unser bisher prominentester Förderer.«
»Haben Sie ihn am Abend des Wohltätigkeitskonzerts getroffen?«
»Selbstverständlich. Wir haben vorher einen Empfang mit ein paar politischen Vertretern der Stadt und des Staates abgehalten. Die Bundesregierung hatte die Frauenministerin entsandt, und aus Hamburg kam Nicki Bruhn, die Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt. Auch aus Schleswig-Holstein waren zwei Amtsträgerinnen erschienen. Außerdem Gina Bransted, die Kandidatin für das Amt des Ersten Bürgermeisters. Ehrlich gesagt, sie hat Jake weitgehend mit Beschlag belegt. Sie muss ein Fan von ihm gewesen sein.«
»Das war alles?«
»Leider ja. Wir hatten eine zwanglose Party nach dem Konzert geplant, aber Jake sagte,
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