Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Fluchtmotorrads?«
»Durchaus möglich. Nach unseren Informationen hat Jaburg mehrere Male mit einem gewissen Niels Freese, der von einem ganz anderen Schlag ist, zusammen agiert. Über Herrn Freese wissen wir sogar mehr als über Jaburg.«
»Wieso ist er von einem ganz anderen Schlag?«
»Freese hat eine schräge Weltsicht. Er ist unberechenbar, gewalttätig. Und er leidet unter schweren psychischen Störungen.«
»Ist es unwahrscheinlich, dass er das Attentat im Schanzenviertel geplant und ausgeführt hat?«
»Das würde ich nicht sagen. Keineswegs. Freese gilt als behindert. Hirnschaden. Aber das scheint seine Intelligenz nicht zu beeinträchtigen. Und er kann weitgehend normal auftreten. Aber er hat alle möglichen anderen Probleme, hauptsächlich neurologischer Art, von denen manche ihn wahnhaft werden lassen. Trotz aller Klugheit ist er höchst anfällig für Manipulation und Suggestion. Bei seinem Geisteszustand kann er von fast allem überzeugt werden, wenn es ihm richtig klargemacht wird und zu seiner sonderbaren Weltanschauung passt.«
»Welche Probleme hat er denn?«, fragte Fabel. »Konkret, meine ich.«
»Ein wirklich tragischer Fall. Er erlebt die Realität anders als wir Übrigen, denn er leidet unter Promnesie, einer äußerst beunruhigenden Befindlichkeit, die mit einem permanenten Déja-vu zu vergleichen ist. Und er hat häufige Episoden reduplikativer Paramnesie, wie die Klapsärzte es nennen. Wenn er sich in diesem Zustand befindet, glaubt der arme Wurm, jemand habe ihn aus der realen Welt entführt und eine perfekte, doch gefälschte Nachbildung um ihn herum aufgebaut.«
»Ich werde meine Partnerin danach fragen. Sie gehört übrigens zu den Klapsärzten.«
»Tatsächlich?« Menke wirkte nicht allzu verlegen. »Na ja, dann kann sie Ihnen bestimmt mehr über das Krankheitsbild sagen als ich. Wie auch immer, dadurch wird Freese beeinflussbar, wenn man seine Wahnvorstellungen anspricht. Nicht kontrollierbar, sondern beeinflussbar. Sein Zustand macht ihn zu einer leichten Beute für alle, die den faulen Zauber über Quantenrealitäten und Umwelt-Singularitäten verbreiten wollen.«
»Solche Dinge, wie sie von den Beschützern Gaias abgesondert werden?«
»Und vom Pharos-Projekt.«
»Da gibt es eine Verbindung?«
»Keine, die wir nachweisen könnten.« Menke unterbrach sich, und die beiden Männer beobachteten einen Frachter, der, unglaublich hoch mit Containern beladen, geräuschlos vorbeizog. »Allerdings liegen uns Hinweise darauf vor, dass die Beschützer Gaias in Wirklichkeit ein direkt kontrollierter Ableger des Pharos-Projekts sind.«
»Weichen die Grundsätze nicht völlig voneinander ab?«
Menke reichte Fabel ein Blatt Papier mit einer handgeschriebenen Notiz.
»Dies ist die letzte uns bekannte Adresse von Niels Freese. Den zweiten Namen kennt niemand außerhalb des BfV … und nun auch außer Ihnen. Es ist der Name des Mannes, den wir für den Hamburger Kommandeur der Beschützer Gaias halten. Wenn Freese den Mordanschlag auf Föttinger ausgeführt hat – ein großes ›Wenn‹ –, dann ist der Befehl von diesem Mann erteilt worden.«
»Jens Markull …«, las Fabel laut vor. »Warum die Geheimnistuerei um seinen Namen?«
»Er ist … war einer von uns. Sie haben angedeutet, dass vermutlich Unterwanderer, verdeckte Ermittler, für uns arbeiten. Tja, das stimmt. Er war einer von ihnen.«
»Er ist BfV-Beamter?«
»Nein. Markull ist einfach jemand, der sich dem Meistbietenden verkauft. Aber irgendetwas scheint geschehen zu sein, das ihn veranlasst hat, sich zurückzuziehen. Wir haben wirklich gute Informationen von ihm erhalten, aber dann sind sie versiegt. Als Letztes haben wir gehört, dass er sich mit einigen Leuten vom Pharos-Projekt getroffen hat. Dann ist er plötzlich zum Hamburger Kommandeur der Beschützer Gaias befördert worden und scheint nun nicht mehr mit uns reden zu wollen.«
Fabel steckte sich den Zettel in die Tasche, und die beiden Männer gingen zu ihren Autos zurück.
»Ich habe noch eine Frage zu Niels Freese«, sagte Fabel.
»Nur zu.«
»Seine neurologischen Probleme – gehört auch ein Hinken dazu?«
Menke blieb stehen und sah Fabel mit überraschter Miene an. »Ja, er hinkt tatsächlich. Die Folge einer leichten Lähmung, die durch einen Sauerstoffentzug bei seiner Geburt verursacht wurde.«
32.
Heiner Goetz war ein stämmiger Mann von nicht ganz sechzig Jahren. Er hatte große, buschige Augenbrauen und spärlicher werdende graue
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