Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Establishment.«
»Wissen Sie, dass es ein schweres Vergehen ist, sich unbefugt als Polizist auszugeben?«
»Keine Ahnung, wovon Sie reden, Herr Fabel.« Flemmings Miene blieb offen und arglos. Er ist gut, dachte Fabel.
»Jemand hatte die Frechheit, ins Butenfeld hineinzuspazieren, ein Abzeichen der Polizei Schleswig-Holstein hochzuhalten und sich den Rumpf zeigen zu lassen, der nach dem Sturm am Fischmarkt angeschwemmt worden ist. Ich dachte, es sei einer vom Pharos-Projekt, aber nun …«
Flemming zuckte die Achseln und trank einen Schluck Kaffee.
»Ist es nicht ein Riesenzufall, dass ›Kommissar Höner‹ einen Kieler Ausweis hatte. Ausgerechnet einen von dort, wo Sie gedient haben … Hören Sie gut zu, Herr Flemming.« Fabel blickte dem großen Mann direkt ins Gesicht. »Nach dem, was Sie heute für mich getan haben, möchte ich Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten. Aber ich könnte einen Sektionsgehilfen aus der Pathologie herholen und ihn fragen, ob ihn hier jemand an einen Schleswig-Holsteiner Kriminalbeamten erinnert, der sich den Rumpf ansehen wollte …«
»Okay, ich war’s. Wollte nachsehen, ob es sich um Meliha handelt.«
»Und?«
»Sie haben den Rumpf gesehen. Eine Identifizierung ist nur über die Familien-DNA möglich, was ich Ihnen überlasse, nachdem Sie nun wissen, wo Sie einen Familienangehörigen finden können.«
»Aber was sagt Ihr Instinkt?«
»Gar nichts. Der Torso war schon entgast worden, damit er nicht explodierte, aber er war immer noch ziemlich aufgebläht. Es hätte Meliha sein können oder auch jemand anders. Sie können sich denken, dass ich im Lauf der Jahre eine Menge Wasserleichen gesehen habe, und sie sind immer sehr schwer einzuschätzen. Der Rumpf vom Fischmarkt ist unzweifelhaft sehr lange im Wasser gewesen. Und je länger das gedauert hat, desto schwerer lässt sich das Alter bestimmen. Mein Täuschungsmanöver hat mir also nichts gebracht.«
»Schön. Ich werde einen DNA-Vergleich mit Herrn Kebir veranlassen. Und bitte halten Sie sich so lange aus den Ermittlungen der Polizei raus.«
Flemming seufzte, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »In Ordnung. Aber wenn ich irgendetwas tun kann …, dann möchte ich, dass Sie mir Bescheid geben.«
»Dafür bin ich dankbar«, sagte Fabel. »Sie können damit anfangen, indem Sie mir alles erzählen, was Sie über Meliha Kebir wissen …«
Am folgenden Tag erschien Fabel sehr früh im Präsidium. Er war aus dem Schlaf aufgeschreckt, weil er wusste, dass am Vortag etwas Schlimmes passiert war, doch für ein paar Sekunden konnte er sich nicht an die Einzelheiten erinnern. Kalten Schweiß auf der Stirn, hatte er aufrecht im Bett gesessen, bis sich alles zusammenfügte.
Susanne hatte sich schon immer Sorgen über den Stress gemacht, dem Fabel durch seine Arbeit ausgesetzt war. Wegen der Albträume, die ihn fast jede Nacht quälten, hatte er einmal ernsthaft daran gedacht, seinen Posten bei der Polizei Hamburg aufzugeben. Aber Susannes Gesichtsausdruck an diesem Morgen – eher Furcht als Besorgnis – hatte ihn all ihre früheren Emotionen vergessen lassen. Jemand hatte es fast geschafft, ihn zu ermorden.
Beim Abschied klammerte Susanne sich an ihn. Sie arbeitete im Institut für Rechtsmedizin und hatte ihn – im Unterschied zu ihrem gewöhnlichen Tagesablauf – als Ersten am Präsidium abgesetzt. Und sie war pünktlich gewesen, was Fabel ganz besonders nervös machte.
In der Mordkommission sah Fabel sich grimmiger Entschlossenheit gegenüber. Das gesamte Team war anwesend, sogar die Beamten, die dienstfrei hatten. Anscheinend hatte Nicola Brüggemann alle herbeigerufen und informell über die Ereignisse unterrichtet. Mehrere traten auf Fabel zu, erkundigten sich nach seinem Befinden und sicherten ihm, jeder mit angemessener Würde, ihre Unterstützung zu. Fabel bemerkte, dass eine kugelsichere Kevlar-Weste auf dem Schreibtisch hinter Nicola Brüggemann stand.
»Wir haben es durchgesprochen, Chef«, sagte Brüggemann mit harter Miene, »und wir sind der Meinung, dass du zusätzlichen Schutz benötigst. Werner …« Sie trat beiseite, sodass Fabel die Schutzweste im Blick hatte. Werner zog die Weste an sich wie ein Bühnenzauberer, der das Tuch von einem Käfig mit gerade unsichtbar gewordenen Tauben reißt. Das Team brach in Gelächter aus, denn auf dem Schreibtisch, bis dahin von der kugelsicheren Weste verborgen, lag ein Paar hellgelber aufblasbarer Schwimmflügel, beide in Form eines
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