Jan Fabel 06 - Tiefenangst
gestochen und als wäre die Welt unter seinen Füßen verschwunden.
Fabel, Henk und der MEK-Mann stürzten mit der zerborstenen Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Plötzlich merkte er, dass Werner und dann Anna sich über ihn beugten. Es war, als hätte ihm jemand mit einer schrillen Pfeife ins Ohr geblasen und als stockte ihm der Atem. Davon abgesehen schienen die beiden anderen und er unverletzt zu sein.
»Besten Dank«, sagte er zu dem jungen MEK-Beamten, nachdem man ihnen auf die Beine geholfen hatte.
»Wir müssen hier raus«, erwiderte der junge Mann. »Es könnte noch andere Vorrichtungen geben, und wir brauchen das Entschärfungskommando. Alle müssen das Gebäude verlassen.«
»Natürlich«, stimmte Fabel zu, obwohl er sich sicher war, dass keine weiteren Bomben in dem besetzten Haus sein würden. Das Gerät im ersten Stock war gerade groß genug gewesen, um seine Aufgabe zu erfüllen: die gesamte Computeranlage und alle darauf gespeicherten Daten zu zerstören.
Auf dem Weg nach draußen sah Fabel das Gesicht der jungen Frau, die die Bombe ausgelöst hatte, vor sich. Sie war nicht hierhergekommen, um zu sterben.
»Ich nehme den Linsenwitz zurück«, sagte Anna, als sie in sicherer Entfernung von dem Gebäude waren. Schwarzer Rauch quoll aus der ersten Etage. Wahrscheinlich hatte die Bombe einen zusätzlichen Brandsatz enthalten. »Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ich werde mich untersuchen lassen.«
»Mein Gott, Jan. Eine Selbstmordattentäterin. Diese Leute sind genauso schlimm wie radikale Islamisten.«
»Es war nicht als Selbstmordanschlag gedacht, Anna. Derselben Frau bin ich schon im Hafen begegnet, und sie sollte nicht sterben, sondern Markull zum Schweigen bringen … und Beweismaterial vernichten. Danach hätte sie verschwinden und die Bombe aus der Entfernung hochgehen lassen sollen.« Fabel drückte vorsichtig die Finger ans Ohr und musterte dann seine Fingerspitzen. Kein Blut. Sein Ohr war unversehrt.
»Du hättest die Hardware in dem Zimmer sehen sollen«, sagte er. »Ein mickriger Verein wie die Beschützer Gaias hätte sich so etwas niemals leisten können. Markull hatte einen Hintermann, der die Partnerschaft auflösen wollte. Vermutlich hat sie ihm den Schädel zertrümmert und ihn danach wieder aufgerichtet, damit es so aussah, als stammten seine Verletzungen von der Bombenexplosion. Man wollte den Eindruck erwecken, dass die zunehmend aggressiven Beschützer Gaias beschlossen hatten, Bomben herzustellen, und dass Markull eine unbeabsichtigt hatte hochgehen lassen.«
Fabel musterte das brennende Gebäude einen Moment lang.
»Ruf das Team wieder zusammen.« Seine Stimme war hart. Entschlossen. »Wir können uns dadurch nicht zurückhalten lassen.«
»Wir gehen vor wie geplant?«, fragte Werner.
»Ja. Jetzt ist der Pharos dran.«
Fabel wusste, dass sie lange im Voraus entdeckt werden würden. Es gab nur zwei Möglichkeiten, sich dem Pharos zu nähern: über den Fluss und über die Uferstraße. Beide boten keine Deckung, und man würde die Polizisten bereits aus einem halben Kilometer Entfernung erspähen. Dies war eine Razzia, bei der es in erster Linie auf Geschwindigkeit ankam; mit jeder Sekunde würden mehr Daten verloren gehen, was bedeutete, dass man dem Gericht weniger Beweise vorlegen konnte.
Er hatte die Teams detailliert vorbereitet, aber seit der verpfuschten Erstürmung des Hauses der Beschützer war viel Zeit verstrichen, und Fabel fürchtete, dass man im Pharos nun mit einer Razzia rechnete. Seine eigenen Mitarbeiter wurden von MEK-Beamten sowohl der Polizei Hamburg als auch der Polizei Niedersachsen unterstützt. Die Hafenpolizei führte den Ansturm vom Wasser her. Fabel hatte keinen Grund zu der Annahme, dass sie auf Widerstand stoßen würden, und nichts deutete darauf hin, dass die sogenannten Konsolidierer, die für die Sicherheit zuständig waren, bewaffnet sein würden. Trotzdem hatte er auf den Einsatzbesprechungen darauf hingewiesen, dass die jüngere Geschichte voll von Sekten war, die auf Mord in Form von Selbstmord zurückgriffen. Er wollte auf keinen Fall, dass diese Aktion zu einem deutschen Waco wurde.
Menke war mit seinem gesamten auf das Pharos-Projekt angesetzten Ermittlerteam erschienen, und Fabel hatte sogar Kroeger und andere Mitglieder des IT-Teams herangezogen. Sie hatten die Aufgabe, so rasch wie möglich alle verfügbaren Daten zu sichern. Fabel wusste, dass das Pharos-Projekt irgendeine Selbstzerstörungs-Software für genau solch
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