Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Gase im Innern war, der den Körper hatte anschwellen lassen.
»Mir geht es besser als ihr. Wie hältst du den Gestank bloß aus?«, fragte Fabel zwischen vorsichtigen Atemzügen.
Brauner tat so, als schnuppere er genüsslich. »Ich liebe den Geruch von Putreszin und Cadaverin am Morgen. Wusstest du, dass auch Sperma nach Cadaverin riecht? Es ist am Beginn und am Ende des Lebens dabei.«
»Du solltest dir ein paar Hobbys zulegen, Holger.« Fabel nickte zum Rumpf hinüber. »Von der Flut angespült?«
»Tja, ich glaube nicht, dass sie hierher geschwommen ist …« Irgendwo hinter seiner Maske stieß Brauner ein leises Lachen aus.
»Der Verlust des Kopfes und der Gliedmaßen – es könnte kein Unfall sein? Durch eine Schiffsschraube oder etwas Ähnliches?«
»Nein. Unzweifelhaft vorsätzlich. Und ausgesprochen fachmännisch. Disartikulative Amputation der Arme, transfemorale Amputation der Beine. Saubere Arbeit, um ehrlich zu sein.«
»Wenn wir den Mörder fassen, werde ich ihm deine Anerkennung übermitteln.« Fabels Stimme war straff, denn er versuchte unbewusst, schnell und flach zu atmen. »Jedenfalls will er nicht, dass wir sie identifizieren. Oder wenigstens möchte er uns das erschweren.«
»Ja …«, sagte Brauner geistesabwesend und neigte den Kopf, um den durchtrennten Hals zu mustern. »Soooo altmodisch. Wer braucht heutzutage noch Fingerabdrücke? Wir könnten die Leiche durch Familien-DNA mit einer vermissten Person in Verbindung bringen.«
» Wenn sie als vermisst gemeldet ist und wir einen Verwandten aufspüren können.« Fabels Blick fiel auf etwas, das wie ein Netz von Tätowierungen aussah. An einigen Stellen war die Haut geplatzt, sodass schleimiges Fett und Fleisch, das an zu lange gekochtes Huhn erinnerte, hervordrangen. Sein Ekel verstärkte sich plötzlich, und er musste zur Seite schauen.
»Es handelt sich um anserita cutis . Gänsehaut«, erläuterte Brauner. »Und einiges deutet auf Hauterweichung hin. Aber es gibt kein nennenswertes Leichenwachs in der subkutanen Schicht. Das bedeutet, dass dieser Körper länger als ein oder zwei, aber kürzer als sechs Wochen im Wasser gewesen ist.«
»Sind das Tätowierungen auf der Haut?«
»Nein, die Linien sind das Werk unserer alten Freunde Bacillus prodigiosus und Bacillus violaceum . Sie sind die Tätowierer der Natur …, chromogene Bakterien, die die Haut rot beziehungsweise purpurn färben. Ein Anzeichen für eine lange Versenkung im Wasser.«
»Kannst du schon etwas über die Todesursache sagen?«, fragte Fabel.
»Die Tatsache, dass ihr der Kopf abgeschnitten wurde, dürfte gereicht haben«, erwiderte Brauner. »Haben sie dir denn in der Mordermittlungsschule überhaupt nichts beigebracht?«
»Sehr lustig. Ich nehme an, dass die Gliedmaßen und der Kopf post mortem entfernt worden sind. Irgendwelche Spuren von Gewalt am Körper?«
»Tut mir leid, Jan, du musst auf die Ergebnisse der Autopsie warten. Bei einer gut abgelagerten Wasserleiche wie dieser ist eine genaue Untersuchung erforderlich, um festzustellen, was vor und nach dem Tod passiert ist. Es könnten Einschusslöcher vorhanden sein, die durch das Aufquellen der Leiche geschlossen wurden und nun verborgen sind. Und solche Leichen werden im Wasser herumgestoßen, von Schiffen angefahren und von allen möglichen Tieren angeknabbert. Die Autopsie wird auch Aufschluss darüber geben, ob die Zersetzung ausschließlich auf Wasserbakterien zurückzuführen ist, oder ob die Frau nach ihrem Tod noch einige Zeit an Land war.«
»Danke, Holger. Gib Anna Wolff deinen Bericht, sobald er fertig ist.« Fabel drehte sich um, um das Zelt zu verlassen.
»Wie fühlt sich Anna übrigens?«, fragte Brauner. »Wie kommt sie über die Runden?«
»Gut. Sie ist gesund und seit sechs Monaten wieder im Dienst. Du kennst Anna doch.«
»Was meinst du?«, wollte Anna wissen, als Fabel aus dem Zelt trat. »Eine Zerstückelung wie diese lässt auf ein organisiertes Verbrechen schließen.«
»Alles ist denkbar«, antwortete Fabel. »Es könnte unser Mann sein, aber vielleicht auch die Tat einer Organisation, ein Sexualmord … oder einfach ein wütender Ehemann mit einer Fleischersäge und einem Ruderboot.« Er blieb stehen, und beide wandten sich zum Zelt um, in dem eine Melodie geflötet wurde.
»Anscheinend hat er sich gestern Abend den Lion King angesehen«, erklärte Anna. »Er ist ganz gierig auf flotte Melodien, behauptet er. Brauner ist mit dir befreundet, oder?«
»Richtig«,
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