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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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hinter sich zu lassen und sich einer Zukunft zuzuwenden, die sie nie ins Auge gefasst hatte. Ich kann verstehen, warum er die Türken so sehr inspiriert. Wie gesagt, Meliha hat sich genauso leidenschaftlich dem Umweltschutz gewidmet. Ihrer Meinung nach benötigte die Welt einen ›Atatürk für die Umwelt‹. Jemanden, der fähig ist, unsere gesamte Lebensweise neu zu durchdenken. Mir und meinen Kollegen warf sie manchmal vor, wir seien ›Pop-Umweltschützer‹. Dilettanten.«
    »Ich verstehe nicht, wie …«
    »›Hell has no fury like a woman scorned‹«, sagte Müller-Voigt auf Englisch. »Kennen Sie Ihren Shakespeare, Herr Fabel?«
    »Congreve«, berichtigte Fabel. »›Der Himmel kennt keinen Zorn wie Liebe, die zu Hass wird, noch kennt die Hölle eine Wut wie die einer verschmähten Frau‹ – das Zitat stammt aus einem Stück von William Congreve, nicht von Shakespeare.«
    Müller-Voigt grinste. »Natürlich, ich habe vergessen, dass Sie ein sehr gebildeter Polizist sind, nicht wahr, Herr Fabel? Egal, ich glaube, dass Meliha ein bisschen von dieser Wut verspürte. Nicht, dass sie in romantischer Hinsicht verschmäht worden wäre, eher in philosophischer. Sie bewunderte Dominik Korn und seine ökologischen Ansichten sehr. Zumindest als er seine ursprüngliche Perspektive für das Pharos-Projekt entwickelte. Wahrscheinlich sah sie ihn als große Hoffnung für die Zukunft des Umweltschutzes.«
    »Als ›Atatürk der Umwelt‹?«
    »Genau. Aber Korn hatte einen Unfall – einen Tauchunfall, wenn ich mich nicht irre –, nach dem er sich immer stärker zurückzog. Das Pharos-Projekt, das als wirklich innovative Umweltforschungsorganisation begonnen hatte, wurde zu einer absonderlichen Sekte, die sich auf Korns zunehmend groteske Philosophie stützt. Das Ganze war geradezu eine fixe Idee für Meliha. Sie hielt es nicht nur für eine verlorene Gelegenheit, sondern für einen Verrat.«
    »Also meinen Sie, dass sie es sich zur Mission gemacht hatte, Korn und Pharos zu entlarven?«
    »Das ist durchaus möglich. Wenn Sie nach Meliha suchen wollen, dann schlage ich vor, dass Sie beim Pharos-Projekt anfangen.«
    »Übrigens, das Bild in dem Digitalrahmen – können Sie mir einen Abzug davon geben?«
    »Ich kann es Ihnen per E-Mail zukommen lassen. Inzwischen habe ich einen neuen Laptop und eine private E-Mail-Adresse, die nicht ins Verwaltungssystem integriert ist. Beide sind also nie dem verdammten Klabautermann-Virus ausgesetzt gewesen.«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Senator, hätte ich lieber einen Abzug.«
    Müller-Voigt schien überrascht zu sein. »Meinetwegen … Ich glaube, ich habe einen in meinem Büro. Ich werde Ihnen das Bild morgen früh per Kurier ins Präsidium schicken. Wenn nicht, kann ich es erneut ausdrucken, wenn mir mein alter Computer zurückgebracht wird. Man entvirifiziert – oder weiß der Teufel, wie das heißt – ihn noch, um die Daten zu retten.«
     
    Während Fabel das Haus des Politikers hinter sich ließ, wurde er von allen möglichen quälenden Gedanken heimgesucht. Die einfachste Erklärung für das Verschwinden der Frau und die Tatsache, dass sich ihre Identität nicht feststellen ließ, schien auf der Hand zu liegen: Aus irgendeinem Grund hatte sie Müller-Voigt einen falschen Namen genannt. So war auch die Situation auf der Konferenz zu enträtseln. Wahrscheinlich besaß sie ein offizielles Delegiertenabzeichen, doch unter einem anderen Namen, und nachdem sie sich als Meliha Yazar vorgestellt hatte, verzichtete Müller-Voigt darauf, ihr Namensschild zu lesen. Vielleicht war sie wirklich Enthüllungsjournalistin oder Mitglied einer extremen Umweltschutzgruppe und hatte schlicht versucht, an einen einflussreichen Vertreter des Hamburger Senats heranzukommen.
    Ja … das war die sinnvollste Erklärung. Sie hatte einen falschen Namen benutzt. Aber während Fabel durch die Dunkelheit am Kanal – seine hohe Böschung war von den Knicks gekrönt, die Müller-Voigt erwähnt hatte – zurückfuhr, konnte er nicht so recht an diese Version glauben.
    Vielleicht hatte jemand es tatsächlich irgendwie geschafft, sämtliche Spuren der Frau, die Meliha Yazar gewesen war, zu beseitigen.

15.
     
    Am folgenden Morgen fühlte sich Fabel bei seiner Ankunft im Präsidium müde und gereizt. Er hatte recht gehabt, denn durch den Kaffee war er tatsächlich die halbe Nacht wach geblieben. Oder genauer gesagt: Der Kaffee, das Fehlen von Susanne im Bett neben ihm und das Bild, das ihm

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