Jan Fabel 06 - Tiefenangst
doch häufig und von mehreren Konten gleichzeitig. Es waren separate Unterschlagungen, die nur zu ihm zurückverfolgt werden konnten, wenn ein Ermittler Einblick in sämtliche Konten erhielt, über die er seine Transaktionen laufen ließ. Und da er bei seinen Überweisungen mehrfach Staatsgrenzen überschritt, waren es oft mehrere Behörden, jede mit eingeschränkter Zuständigkeit, die für die jeweiligen Nachforschungen zuständig waren.
Gelegentlich hatte er ein ungutes Gefühl, weil ihn plötzlich die Sorge ergriff, dass seine Plündereien als Teil einer umfassenderen Operation betrachtet werden konnten. Dann stahl er manchmal doch noch eine zweite Summe von demselben Konto – einen etwas höheren Betrag, um anzudeuten, dass der Dieb selbstbewusster wurde –,hackte sich in die Personaldaten der Bank oder des Konzerns ein und deponierte das gestohlene Geld auf dem Konto eines unglückseligen Buchhalters. Dabei verschwendete er nie einen Gedanken auf das persönliche Leid und die Ungerechtigkeit, die seine Aktionen erzeugten. Für ihn handelte es sich nicht um reale Personen, sondern um Informationsfetzen; Daten, die wie Plankton in einem Cyber-Ozean schwammen. Keine realen Menschen in der realen Welt.
Er folgte einem Thread und fand sich unabsichtlich in der Zentrale eines Unternehmens für Umwelttechnologie in San Francisco wieder. So rasch wie möglich zog er sich zurück und verwischte dabei seine Spuren. Roman ließ Firmen in den Vereinigten Staaten und in Russland grundsätzlich zufrieden. Nicht, dass er eine besondere Vorliebe für diese Nationen gehabt hätte. Es lag einfach daran, dass das amerikanische FBI notorisch raffiniert – und hartnäckig – bei der Aufspürung von Hackern und Betrügern war. Wenn jemand dann auch noch zufällig eine Firma behelligte, die den gewaltigen militärisch-industriellen Komplex der USA belieferte, verfolgte das FBI den Schuldigen überall auf der Welt.
Und die Russen … also, bei den Russen wusste man nie genau, wen man wirklich bestahl, und außerdem hatten sie die besten Hacker des gesamten Globus. Amerikaner und Russen besaßen die fähigsten Cybercops und Cybergauner des Planeten. Es war daher ratsam, sich von beiden fernzuhalten.
Er wechselte sein Ziel, und nach weiteren fünfzehn Minuten hatte er sich wiederum um sechstausend bereichert; diesmal waren es Euros aus dem Pensionsfonds einer britischen Fluggesellschaft.
Roman bewegte sein Kapital immer hin und her, manchmal monatelang; er schichtete es um, führte es mit anderen Geldern zusammen und verteilte es erneut um, bevor er es schließlich in kleinen Beträgen auf die verschiedenen deutschen Bankkonten überwies, zu denen er einen direkten Zugang hatte. Er plante, sich einen neuen Computer zu bauen, der schneller als all seine anderen Geräte war, wahrscheinlich schneller und leistungsfähiger als alles, was die Cybercops besaßen. Deshalb musste er einen ausreichenden Betrag auf sein Kreditkartenkonto überweisen, um zwei SATA Interface Hyper Drive Fives kaufen zu können. Es war eine viel größere Summe, als er gewöhnlich transferierte, aber er benötigte die Laufwerke.
Nun schaltete er seine Geräte ab, was er nicht immer tat. Denn bei einem Neustart riskierte er vermehrte Systemprobleme, und außerdem wurde er an einer sofortigen Reaktion gehindert, falls Vertreter der Strafverfolgungsbehörden an seine Tür klopften. Aber hin und wieder wollte er die Hardware abkühlen lassen. Und er hatte den Elektromagneten immer einsatzbereit.
Roman ging halb schlurfend, halb watschelnd in die Küche, nahm eine Familienpackung Snacks mit ins Wohnzimmer und ließ sich in der Vertiefung nieder, die sein Körper auf dem Sofa hinterlassen hatte. Er stellte das Fernsehgerät an und sah eine Sendung, in der eine Frau, die in ihren Beruf zurückkehren wollte, ihrem Mann von einer alten Frau aus Bayern beibringen ließ, wie ihre Wohnung mit umweltfreundlichen, traditionellen Mitteln gesäubert werden konnte – mit Zitronensaft, Essig und ähnlichen Dingen.
»Warum?«, schnaubte Roman verächtlich in Richtung des Fernsehers, bevor er den Ton abstellte und nach dem Handy auf dem Couchtisch griff. Er betrachtete es. Ein gutes Gerät. Ein Nokia 5800. Internetfähig, mit integriertem Satnav.
Roman wusste nicht, warum er es gestohlen hatte. Er hatte im Café Mittag gegessen, als sie hereinkam und sich an den Nachbartisch setzte. Er hatte versucht, sie nicht anzustarren, aber er konnte nicht übersehen, wie
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