Jan Fabel 06 - Tiefenangst
sich übernommen haben. Wie gesagt, Pharos ist das geistige Produkt von Dominik Korn. Hast du schon von ihm gehört?«
»Nicht, bevor Müller-Voigt ihn erwähnt hat.«
»Das überrascht mich nicht. Dominik Korn ist einer der reichsten Männer der Welt – milliardenschwer, genau wie sein Stellvertreter Peter Wiegand –, aber kaum jemand ist so öffentlichkeitsscheu wie er. Seit Jahren hat niemand außer Wiegand und seinem Zirkel enger Berater Kontakt zu ihm. Ab und zu nimmt er an Videokonferenzen mit anderen wichtigen Leuten in seinem Geschäftsimperium teil. Er wohnt auf einer riesigen Jacht. Und ›riesig‹ ist kaum das richtige Wort. Sie könnte dem durchschnittlichen russischen Oligarchen Minderwertigkeitskomplexe einflößen.«
»Warum lebt er so zurückgezogen?«
»Offenbar hatte er einen Tauchunfall, der durch eine schwere Dekompressionskrankheit und andere Komplikationen einen furchtbaren Schlaganfall bei ihm ausgelöst hat. Es ist ein Wunder, dass er noch am Leben ist, aber er ist in einem ähnlichen Zustand wie der Mann, den du heute vernommen hast. Seitdem muss er rund um die Uhr auf seiner Jacht versorgt werden.«
»Und er ist auch das Oberhaupt dieser Sekte?«
»Guru Nummer eins anscheinend. Er hört sich nach einem Spinner an, aber er soll genauso viel Grips wie Bargeld haben. Sein IQ gilt als gigantisch.« Anna schaute in ihr Notizbuch. »Er hat Ozeanografie, Hydrologie und Umweltwissenschaften in den Vereinigten Staaten studiert – übrigens besitzt er die deutsche und amerikanische Staatsbürgerschaft –, dann eine Doktorarbeit in Hydrologie geschrieben und wurde danach Hydrometeorologe.« Sie warf einen weiteren Blick auf ihre Notizen. »Er hat die Interaktion zwischen großen Gewässern und dem Klima untersucht. Und er wurde weltweit führender Experte für Ökohydrologie. Damit beschäftigte er sich, als er den Unfall erlitt. Er hatte ein einzigartiges Tauchboot für seine Forschungen entwickelt und war auf der Jungfernfahrt, als alles danebenging.«
»Sein Unfall?«
»Es war wohl auch seine Offenbarung.«
»Richtig …«, sagte Fabel. »Müller-Voigt hat irgendeine Erleuchtung auf dem Meeresboden erwähnt.«
»Bis zu seinem Unfall war das Pharos-Projekt eine ozeanographische Forschungsstudie. Korn hatte Millionen hineingesteckt mit dem Ziel, die ökologische Auswirkung verschiedener menschlicher Aktivitäten auf die tiefsten Ozeanschichten zu erkunden. Dann, nach dem Unfall und nach den Schäden, die Korn erlitten hatte, änderte er den Charakter des Projekts. Als Erstes wurde es zu einer Lobbygruppe, die gegen die Ölsuche in tieferen Gewässern kämpfte. Nach der BP-Katastrophe im Golf von Mexiko gewann sie sehr stark an Glaubwürdigkeit. Dann gestattete Korn Pharos-Angehörigen, an Protesten und direkten Aktionen teilzunehmen. Und etwa neun Monate nach dem Unfall fing Korn an, von seiner Epiphanie und deren Bedeutung zu reden.«
»Und die wäre?«
»Sein ganzes Erwachsenenleben hindurch hatte Dominik Korn als Jünger der Tiefenökologie agiert, also offenbar die Auffassung vertreten, dass sich die Menschen nicht als losgelöst vom Ökosystem sehen dürfen, sondern vielmehr darauf hinarbeiten müssen, die Umwelt einfühlend zu gestalten und die Artenvielfalt zu erhalten – all solche Dinge. Aber nach seinem Unfall wies er das Konzept der Tiefenökologie völlig zurück und verbreitete seine Theorien der Loslösung. Er behauptete, durch seine Erfahrung in fünftausend Meter Tiefe sei ihm eine universelle Wahrheit offenbart worden.«
»Das ist immer so«, sagte Fabel. »Nach der Zahl der Sekten zu schließen, muss es verdammt viele universelle Wahrheiten geben.«
»Korns spezielle Offenbarung lautete, er sei verletzt worden, weil er sich als Mensch in einer nicht für Menschen bestimmten Umgebung aufgehalten habe. Die Philosophie des Pharos-Projekts besagt, die Menschheit solle sich aus der Umwelt entfernen.« Anna zuckte die Achseln. »Das ist die Loslösung, von der er redet.«
»Woher hast du all das Zeug?«
»Die Jungs vom BfV haben mir geholfen«, sagte Anna. »Ich habe dort einen Kontakt. Einen Ehemaligen von mir. Er war ganz schön vorsichtig, denn dies ist eine große Sache für den BfV. Auch die französischen Sicherheitsdienste und das amerikanische FBI scheinen dem Pharos-Projekt viel Aufmerksamkeit zu widmen. Er weiß nicht genau, was sie alle in die Gänge gebracht hat, aber jedenfalls steht das Pharos-Projekt auf etlichen heißen Listen.«
»Allerdings.
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