Jan Fabel 06 - Tiefenangst
seinen Rollstuhl.«
»Wir müssen ihn wirklich überprüfen. Selbst wenn er physisch nicht als Verdächtiger in Frage kommt, könnte seine Interaktion mit den Opfern uns etwas verraten.«
»Darüber bin ich mir im Klaren, Anna. Ich habe veranlasst, dass einer von Kroegers Leuten bei Reisch vorbeifährt und sich den Computer ansieht.« Fabel hob den Ordner auf und blätterte den abgehefteten Bericht durch. »Wir werden wohl weiterackern müssen; uns die nächste Gruppe von IP-Adressen ansehen.«
»Das kann ewig dauern«, sagte sie.
»Sonst haben wir keine Anhaltspunkte.« Er nickte in Richtung des Stuhles ihm gegenüber. »Setz dich, Anna.«
»Schon in Ordnung«, antwortete sie geistesabwesend. »Ich stehe lieber. Habe den ganzen Tag gesessen, und mein Bein wird ein bisschen steif.«
Für einen Sekundenbruchteil rang Fabel nach Worten, was Anna nicht entging.
»Jan, es geht mir gut. Ich wünschte, wir würden das Thema endlich abhaken. Es war nicht deine Schuld.«
Er musterte den vor ihm liegenden Bericht – eher, um den Blickkontakt mit Anna zu vermeiden, als um den Inhalt zu lesen.
»Doch, es war meine Schuld«, widersprach er. »Ich hatte das Kommando – genau wie in der Nacht, als Paul getötet wurde.«
»Wir haben einen gefährlichen Beruf, Jan. Das wusste ich und Paul auch. Man kann nicht jede denkbare Möglichkeit einplanen.«
»Ich träume dauernd von ihm«, sagte Fabel mit leiser, ruhiger Stimme. »Fast jede Woche oder jede zweite. Immer den gleichen Traum. Wir sind im Arbeitszimmer meines Vaters, im Haus meiner Eltern in Norddeich, und Paul sitzt da und spricht mit mir. Nicht über etwas Wichtiges oder Bedeutsames. Er sitzt einfach da und plaudert. Aber ich weiß, dass er tot ist. Er hat die Wunde am Kopf, und manchmal erklärt er, dass es ihm schwerfällt, sich eine Meinung zu bilden, weil er tot ist.«
»Ich dachte, die Träumerei hätte aufgehört.« Anna runzelte die Stirn.
»Das behaupte ich Susanne gegenüber. Der offizielle Kurs. Es ist anstrengend, mit einer Psychologin zusammenzuleben. Ich weiß nicht, ob sie mir glaubt, aber ich weiß, dass Paul, wenn ich anders gehandelt hätte, noch am Leben wäre, Maria Klee nicht in einer Nervenheilanstalt säße und du nicht angeschossen worden wärest.« Er stöhnte. »Entschuldige, können wir damit aufhören?«
»Du bist der Chef«, erwiderte Anna lächelnd. »Zum Pharos-Projekt. – Zeigst du mir dein Material, wenn ich dir meins zeige?«
»Ich bin ganz Ohr.« Fabel lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Ich weiß nicht, warum ich die Sache für dich untersuchen sollte, aber ich habe einige sehr verdächtige Dinge über Pharos gehört. Ich werde dich nicht fragen, wie du es erfahren hast, doch es gibt eine Verbindung zu den Morden.«
Fabel wirkte verblüfft.
»Du hast mich doch beauftragt, weil eine Verbindung besteht?«, fragte Anna.
»Nein … Nein, ganz und gar nicht. Wie gesagt, es geht um etwas anderes.«
»Dann ist das ein erstaunlicher Zufall«, sagte Anna.
»Man muss ein bisschen nachgraben, aber Dominik Korn, der das Pharos-Projekt leitet, ist auch Chef des Konsortiums, dem Virtual Dimension gehört und von dem es betrieben wird. Ich meine das Reality-Spiel, in das sich alle Opfer eingeloggt hatten. Aber warum warst du an Pharos interessiert?«
»Eine bloße Vermutung … Ich dachte, es könnte eine Verbindung zu der anderen Toten geben. Der Wasserleiche.« Fabel seufzte. »Eine Frau scheint verschollen zu sein, Meliha Yazar. Vielleicht besteht hier eine Verbindung zum Pharos-Projekt. Sie könnte Nachforschungen darüber angestellt haben.«
»Worauf hast du dich bloß eingelassen, Jan?« Anna stützte sich auf Fabels Schreibtisch. Ihre Miene ließ aufrichtige Besorgnis erkennen.
»Auf etwas, das ich mir lieber hätte ersparen sollen«, sagte er ernst. »Berthold Müller-Voigt hat mich dazu überredet. Das bleibt unter uns, Anna …«
Sie nickte.
»Müller-Voigt hatte etwas mit dieser Frau.«
»Und mit der halben weiblichen Bevölkerung von Hamburg, wie ich höre«, sagte Anna.
»Dies ist etwas anderes. Müller-Voigt ist vernarrt in sie. Und ihr Verschwinden beunruhigt ihn sehr.« Fabel fasste die Gespräche zwischen ihm und dem Umweltsenator kurz zusammen.
»Weißt du«, meinte Anna, »ich setze mich vielleicht doch lieber hin. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich über Pharos herausgefunden habe. Wenn Müller-Voigts neueste Geliebte wirklich Nachforschungen über das Projekt angestellt hat, könnte sie
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