Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Kroeger erwiderte, seine Leute würden das Gerät umgehend überprüfen, wenn er es sofort hinunterschicke. Fabel ließ sich in der Technischen Abteilung ein Ersatzhandy geben und ging in die Kantine. Er beschloss, sich hinzusetzen und seinen Kaffee hier zu sich zu nehmen. Da er die halbe Nacht an seinem Schreibtisch sitzen würde, gefiel ihm der Gedanke, sich ein paar Minuten außerhalb seines Büros aufzuhalten. Seit Mittag hatte er nichts gegessen, doch er würde vorläufig darauf verzichten und sich erst auf der Rückfahrt etwas kaufen.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Fabel hob den Kopf und sah zu seiner Überraschung Menke, den BfV-Beamten, mit einem Styrobecher Kaffee vor sich stehen. Seine starren hellblauen Augen hinter der randlosen Brille waren fest auf Fabel gerichtet.
»Ja … ja, natürlich.« Fabel runzelte die Stirn. »Ist es nicht etwas spät für Sie, Herr Menke?«
»Allerdings.« Der Mann nahm Fabel gegenüber Platz. »Ich hatte den ganzen Tag lang Konferenzen mit den Chefs der MEK-Einheiten.« Menke sprach vom Mobilen Einsatzkommando der Polizei Hamburg. »Sie wissen schon, Planung für GlobalConcern.«
»Ich beneide Sie nicht«, sagte Fabel. »Wahrscheinlich gibt es nicht wenige Spinner, die versuchen werden, bei dem Gipfel auf den Putz zu hauen, um aufzufallen.«
»Da haben Sie recht«, bestätigte Menke. »Die Weltpresse ist reichlich vertreten und bekommt alles mit. Es wird Massenproteste und wahrscheinlich weitere Gewaltakte geben wie die Brandstiftung vor ein paar Tagen. Das war der entscheidende Punkt meiner Gespräche mit den MEK-Leitern: eine Strategie der Isolierung zu entwickeln.«
»Kesselung?«, fragte Fabel erstaunt. »Das war sechsundachtzig nicht legal und ist es heute auch nicht. Ich kann mir nicht denken, dass Herr Steinbach so etwas billigen würde.« Hugo Steinbach war der Hamburger Polizeipräsident.
Menke schwieg eine Weile und musterte Fabel mit seinen ausdruckslosen blauen Augen, während er einen Schluck Kaffee trank. Fabel dachte zurück an den Mann im Rollstuhl, den er am Nachmittag vernommen hatte. Er erwog träge, ob Menke unter der emotionalen Version von Reischs Krankheit litt.
»Natürlich rede ich nicht von Kesselung«, gab Menke schließlich zurück. »Wir leben in einer äußerst komplexen Zeit, Herr Fabel. Technologisch gesehen. Das bedeutet, wir verfügen über gewisse Vorteile, die wir früher nicht hatten. Unser Verfahren gleicht eher der Präzisionschirurgie als einer Anwendung von roher Gewalt. Wenn ich unsere Strategie als Isolierung bezeichne, meine ich, dass wir beabsichtigen, die Extremisten, die sich unter den friedlichen Demonstranten verstecken wollen, abzudrängen und fortzuschaffen. Unsere Informationen sind gut und werden dauernd besser. Wir planen nicht nur, das Feuer einzudämmen, sondern wir wollen verhindern, dass es überhaupt angezündet wird.«
»Ach so.« Fabel ließ den Kaffeesatz in seinem Becher herumwirbeln und betrachtete ihn. »Mit anderen Worten: Sie haben Leute im Innern. Unterwanderer.«
Menke brachte eine Art Lächeln zustande. »Wir verfügen über eine sehr komplexe Technologie. Aber letzten Endes ist jeder Informationsdienst immer von menschlicher Vermittlung abhängig.«
Fabel stand auf und entschuldigte sich. Er müsse zur Kommission zurückkehren, da man eine weitere Leiche gefunden habe, womit die Gesamtzahl auf vier gestiegen sei.
»Was ist mit der zerstückelten Leiche, über die Herr Müller-Voigt während unseres Treffens anscheinend so gern mit Ihnen sprechen wollte? Schließen Sie die Frau mit Sicherheit aus?«
»Nicht mit Sicherheit. Aber sie scheint mir nicht zum Muster zu passen.« Fabel wandte sich zum Gehen.
»Haben Sie den Senator heute gesehen?«, fragte Menke.
»Nein. Wieso?«
»Er wollte heute zu unserer Sitzung erscheinen. Es war genau die Art von Besprechungen, bei denen er sonst immer unbedingt dabei sein will. Er hält sich in erster Linie für den Hüter der Meinungsfreiheit, und, um offen zu sein, ich glaube nicht, dass er uns viel Vertrauen schenkt. Es überrascht mich sehr, dass er die Besprechungen ausgelassen hat. Wir haben eine E-Mail von ihm, in der er abgesagt hat.«
»Oh, ich verstehe.« Fabel entschied sich, nicht zu erwähnen, dass er sich am Vorabend mit Müller-Voigt getroffen und dass er am heutigen Nachmittag erfolglos versucht hatte, ihn anzurufen. »Na dann. Bestimmt sehen wir uns bald wieder, Herr Menke.«
Menke blieb sitzen und verzog die Lippen zu der Andeutung
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