Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Deine Schnüffelei ist nicht unbemerkt geblieben.«
»Menke?«
»Genau. Er wusste über deine Nachforschungen Bescheid. Dein Ehemaliger muss so vorsichtig gewesen sein, dass er sich unbedingt absichern wollte.«
»Und was hat Menke dir erzählt?«, fragte Anna.
»Weniger als du, aber genug, um begreifen zu können, dass Meliha Yazar in Gefahr gewesen sein dürfte, wenn es stimmt, dass sie versucht hat, Pharos auszuspionieren. Menke will mir später weitere Informationen schicken.«
»Aber?« Anna zog eine Augenbraue hoch.
»Aber ich glaube, dass unser Interesse nicht willkommen ist. Ehrlich gesagt, ich habe Menke nicht über Müller-Voigt und seine Sorgen um Meliha Yazar unterrichtet. Andererseits hat Menke bestätigt, dass das Pharos-Projekt alle Kriterien einer destruktiven Sekte erfüllt. Besonders, was die diktatorische Kontrolle über seine Mitglieder angeht. Menke hat sich nicht im Detail geäußert, aber es scheint die alte Sache zu sein: Bekehrung wird Indoktrination und dann Gehirnwäsche. Und Korn scheint seine eigenen kleinen Schnörkel hinzugefügt zu haben. Das andere, was Pharos auszeichnet, ist sein finanzieller Einfluss. Der innere Zirkel des Projekts besteht aus Vorstandsmitgliedern der verschiedenen Unternehmen von Korns Imperium. Und nach seinen Worten gehören dazu auch die Entwickler von Virtual Dimension.«
»Vielleicht sollten wir deine inoffiziellen Nachforschungen über Meliha Yazar zu einer offiziellen Ermittlung machen, wenn du glaubst, dass sie die Wasserleiche ist. Wir könnten uns ihre Familien-DNA beschaffen …«
Er schüttelte den Kopf. »So unkompliziert ist das nicht … Außerdem glaube ich, dass die Mühe vergeblich wäre.« Er schaute auf seine Uhr: 23.30 Uhr. »Es ist spät. Ich fahre nach Hause. Wir machen morgen früh weiter.«
Als Fabel den Lift verließ und die Kellergarage des Präsidiums durchquerte, versuchte er erneut, Susanne über ihr Handy zu erreichen. Er fluchte, denn wieder meldete sich ihre Voicebox. Er hinterließ die Nachricht, dass dies zeitweilig seine Handynummer sei, und bat sie um Rückruf.
Da er seit Mittag nichts mehr gegessen hatte, doch keine Lust verspürte, selbst zu kochen, beschloss er, unterwegs etwas zu sich zu nehmen. Während der Fahrt durch die nächtliche Stadt schweiften seine Gedanken zu all dem ab, was sich in den vergangenen achtundvierzig Stunden abgespielt hatte. Zwei Leichen im Wasser. Zwei verschiedene Vorgehensweisen. Vermutlich würde die Presse ihre Schlagzeilen am Morgen der zweiten Leiche widmen, und van Heiden würde ihn erneut anrufen, um das Offensichtliche zu unterstreichen. Doch seltsamerweise kehrten seine Gedanken immer wieder zu dem Gespräch vom Vorabend mit Müller-Voigt und zu all dem zurück, was er über das Pharos-Projekt herausgefunden hatte.
Erst als er seinen BMW anhielt, wurde ihm klar, was sich abgespielt hatte. Es war, als ob der Wagen – und er selbst – einen Autopiloten eingeschaltet hätte. Fabel fand sich im Hafen wieder. Er wusste, wie es geschehen war, und spürte eine bleierne Traurigkeit in der Brust. Er war, wie so viele Male zuvor, zum Hafen gefahren, um sich an Stellamanns’ Schnellimbiss ein Bier und etwas Heißes zu kaufen.
Dirk Stellamanns hatte den Imbissstand am Hafen seit seinem Ausscheiden aus der Polizei Hamburg betrieben. Wie Fabel war Dirk von Geburt Friese, und als erfahrener Beamter hatte er den Jüngeren in dessen ersten Dienstmonaten eingearbeitet. Er hatte Fabel unter seine Fittiche genommen, und die beiden verständigten sich seither ausnahmslos in ostfriesischem Platt. In all den Jahren – und trotz Fabels Aufstieg – waren die beiden Männer in enger Verbindung geblieben. Dann, nach seiner Pensionierung, hatte Dirk seinen makellosen Schnellimbiss – einen Wohnwagen mit Servierfenster und Überdachung, umringt von hüfthohen Tischen mit Sonnenschirmen – mitten in seinem alten Revier eingerichtet, im Schatten der hochragenden Hafenkräne.
Fabel kam regelmäßig auf ein Bier und eine Mahlzeit vorbei, besonders wenn ihn etwas beunruhigte. Mit Dirk zu sprechen und seinen Dialekt zu hören, der so breit und flach wie ihre gemeinsame Heimat war, hatte Fabel stets aufgemuntert. Stellamanns war ein Typ gewesen, der immer fröhlich und gefasst blieb, egal womit das Leben ihn bedrängte.
Er stieg aus seinem Wagen, blieb in einem Lichtkegel auf der Pflasterstraße stehen und schaute hinüber zu einer leeren, mit Sträuchern umwachsenen Fläche neben der
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