Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Ziel. Doch Umweltschützer überall auf der Welt wurden durch Korns Mut und Engagement inspiriert. Fabel begriff, weshalb die junge Meliha Yazar Vergleiche mit Mustafa Atatürk angestellt hatte. Korn schien wirklich eine neue, radikale Vision zu bieten. Er schlug ein völlig neues Machtgefüge für die Welt vor, in dem globale Probleme wie der Umweltschutz auch auf global behandelt wurden und in dem keine einzelne Nation Rechte auf den Besitz von Rohstoffquellen besaß. Viele von Korns frühen Argumenten erschienen Fabel plausibel, wobei auf der Hand lag, dass auch diese ursprünglichen Ideen schon Wirtschaftsverbänden und Staatsregierungen gefährlich erschienen sein dürften.
Nach jenem einen Auftritt hatte Korn sich immer mehr zurückgezogen, und seine durch die Pressestelle von Korn-Pharos verbreiteten Äußerungen waren zunehmend absonderlich geworden. Er verkündete die Gründung des Pharos-Projekts als internationale Umweltschutzbewegung, und seine Philosophie der Loslösung wurde immer extremer. Sobald er anfing, eine strikte Geburtenkontrolle der Menschheit sowie Euthanasie und Zwangssterilisierungen zu fordern, läuteten die Alarmglocken. Vor allem in Deutschland.
Während das Pharos-Projekt religiöse Züge anzunehmen begann und seine Haltung gegenüber Lästerern aggressiver wurde, schob sich ein Name immer häufiger in den Vordergrund: der von Peter Wiegand. Er war Korns Stellvertreter und hatte dessen Rettung aus Pharos One geleitet. Als sein Chef außer Gefecht gesetzt worden war, hatte er die Führung der Organisation übernommen, bis sich Korn so weit erholt hatte, dass er wieder die Leitung übernehmen konnte, wenn auch von einem motorisierten Rollstuhl aus und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wiegand war deutscher Staatsbürger, und die Bewegung errichtete ihr europäisches Hauptquartier in der Bundesrepublik, während ihr Sitz weiter in den Vereinigten Staaten blieb. Allerdings galt die deutsche Zentrale, das architektonisch innovative Pharos-Gebäude am Südufer der Elbe, als das eigentliche Welthauptquartier des Pharos-Projekts. Korn mochte König sein, doch Wiegand war sein Prinzregent.
Als der Herausgeber einer Boulevardzeitung mehrere Programmpunkte des Pharos-Projekts mit denen der Nazis verglich und den stellvertretenden Leiter der Sekte als »Himmler von Pharos« bezeichnete, hatte Wiegand ihn verklagt, und die Zeitung hatte eine hohe Schadenersatzsumme zahlen müssen.
Fabel verstand, worauf sich die Bedenken des BfV gründeten: Pharos erfüllte fast sämtliche Kriterien einer staatsgefährdenden Sekte und vertrat eine antidemokratische Philosophie. Hier wurde die übliche bedingungslose Verehrung eines Führers gepflegt, der zudem praktischerweise weit weg und unnahbar war und dessen Gebrechen in eine Ausdrucksform seiner speziellen Askese uminterpretiert wurden. Hinzu kam die völlige Unterjochung des Individuums: Wer sich Pharos anschloss, dessen Identität wurde von dem einen, größeren Bewusstsein vereinnahmt. Dies bedeutete natürlich auch, dass jedes individuelle Vermögen in den Besitz der Sekte überging. Es war der erste Schritt zur Loslösung von der physischen Welt. Wie die meisten Sekten hatte auch Pharos seinen Tag des Jüngsten Gerichts: die Konsolidierung.
Aus einer Stunde wurden zwei, dann drei. Schließlich kam Susanne in die Küche, machte eine Scheibe belegtes Brot und stellte den Teller auf Fabels Ordner. Dann reichte sie ihm eine Flasche Jever.
»Iss«, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
»Du wirst doch nicht etwa noch zur Hausfrau …« Fabel beäugte das Brot misstrauisch.
»Ich habe eingesehen, dass es ein Fehler war, zu studieren und eine berufliche Laufbahn einzuschlagen. In Zukunft werde ich zu Hause bleiben, um jeden deiner Wünsche zu erfüllen.« Sie nickte zu der Scheibe Brot hinüber. »Mein eigenes Rezept: Brot, Butter und Käse.«
Fabel lächelte, biss einen Happen ab, lehnte sich zurück und trank einen Schluck Bier.
»Nun begreife ich, warum Menke so kooperativ ist«, sagte er. »Das BfV hat ein ganzes Team auf das Pharos-Projekt angesetzt, aber man kann den Leuten nichts anlasten. Es gelingt nicht einmal dem FBI, das genauso argwöhnisch ist. Das Pharos-Projekt hat seine europäische Zentrale nicht weit von hier an der Elbe, und auch die Polizei Niedersachsen überwacht es.«
»Was ist denn der besondere Dreh des Projekts? Ein Meteor, der Mitglieder in eine andere Galaxie befördert? Schutz vor den
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