Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Nein, es wäre nutzlos. Bevor sich die Experten der Polizei Hamburg den Computern widmen konnten, würden die noch besseren Experten des Pharos-Projekts bereits alles entfernt haben, was die Sekte in Verlegenheit bringen würde.
»Ich habe gehört, dass Ihr Mann Herrn Berthold Müller-Voigt gut kannte.«
»Nicht allzu gut. Natürlich sind sie einander häufig begegnet.«
»Herr Müller-Voigt hatte doch eine leitende Position bei Föttinger Environmental Technologies …«
»Nein, er hatte lediglich eine beratende Funktion.«
»Entstand für ihn als Umweltsenator dadurch kein Interessenkonflikt?«
»Er hat den Senat darüber informiert. Außerdem ist unsere Firma nicht in Hamburg tätig. Es gibt keine Aufträge, die an uns vergeben werden könnten.«
»Aber Sie sehen ein, dass ich sämtliche Kontakte zwischen Ihrem Mann und Senator Müller-Voigt überprüfen muss?«
»Glauben Sie wirklich, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Taten gibt?«, fragte Wiegand. »Sie sind doch unter nicht vergleichbaren Umständen gestorben. Der Tod des armen Daniel war vielleicht nicht einmal geplant, und nach den Zeitungsberichten zu urteilen, ist Berthold von jemandem ermordet worden, den er in sein Haus gelassen hatte.«
Fabel wandte sich Wiegand zu und sah ihn ein paar Sekunden lang an. Der Grund für seine Bemerkung lag auf der Hand: Wiegand hatte irgendwie erfahren, dass Fabel kurz vor Müller-Voigts Tod in dessen Haus gewesen war.
»Ich weiß nicht, ob eine Verbindung besteht«, erwiderte Fabel. »Noch nicht. Sie haben Berthold also auch gekannt?«
»In der Tat.«
»Haben Sie auch seine Partnerin kennengelernt? Meliha Yazar?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Wiegand hatte eine undurchsichtige Miene aufgesetzt.
»Frau Föttinger?«
»Der Name ist mir nicht vertraut«, erwiderte sie. »Ich dachte, Berthold hätte keine feste Partnerin. Er hatte einen Ruf als Frauenheld, wie Sie bestimmt wissen.«
Fabel erhob sich, dankte Kirstin Föttinger, drückte ihr noch einmal sein Mitgefühl aus und verabschiedete sich als Darsteller, der von einer Bühne abtrat: Nichts an dem Gespräch war natürlich oder spontan gewesen. Hier konnte er nichts mehr herausfinden. Wiederum bestand Peter Wiegand darauf, ihn zu begleiten.
»Ihre Vereinigung macht mich neugierig, Herr Wiegand«, sagte Fabel, als sie sein Auto erreichten. »Glauben Sie wirklich an die Konsolidierung? Daran, dass Sie alle in einen Hauptcomputer hochgeladen werden können?«
»Herr Fabel, jede Religion, jedes Glaubenssystem hat einen zentralen Leitsatz, der eine Fülle von Interpretationen ermöglicht. Unabhängig vom Glaubenssystem werden manche Anhänger den Leitsatz wörtlich nehmen, während andere ihn für symbolisch halten. Wie auch immer, möglicherweise ist all das hier …« Er machte eine ausladende Geste, als wolle er die parkähnlichen Gärten, die Bäume und alles Übrige umfassen. »… die Konsolidierung. Vielleicht ist es nicht die wahre Realität, und wir sind bloß ichbewusste Programme in einem posthumanen, künstlichen Umweltmodell. Aber wenn dies die Realität ist – und ich bin fest davon überzeugt –, dann nähert sie sich ihrem Ende, falls wir nicht radikale Schritte ergreifen, und zwar bald.« Er sah Fabel an, als würde er ihn einschätzen. »Es steht Ihnen frei, uns zu besuchen, Herr Fabel. Haben Sie den Pharos gesehen, unser hiesiges Hauptquartier an der Küste bei Hörne? Es liegt übrigens nicht sehr weit von Berthold Müller-Voigts Haus entfernt. Und dort sind Sie, glaube ich, schon gewesen.«
»Nein, ich habe den Pharos noch nie gesehen«, wich Fabel aus.
»Dann sollten Sie vorbeikommen! Er ist ein Bauwerk mit einer wirklich außergewöhnlichen Architektur. Der Pharos ist ein Anbau an einen Leuchtturm aus dem neunzehnten Jahrhundert, und das gesamte Gebäude ragt über das Wasser hinweg. Wir haben sogar mehrere Glasplatten in den Fußboden eingelassen, durch die man das zwanzig Meter tiefer liegende Meer sehen kann.« Er reichte Fabel eine Visitenkarte. »Bitte besuchen Sie uns, Herr Fabel. Unsere Türen sind für alle geöffnet, sogar für Polizisten. Aber ich würde Sie bitten, vorher anzurufen, damit wir uns auf Sie einstellen können. Das Einzige, was Sie mitbringen sollten, ist ein offener Geist.«
»Damit Sie ihn schließen können?«
»Trotz allem, was Ihnen Ihre Kollegen vom BfV möglicherweise mitgeteilt haben, sind wir keine Sekte. Wir sind ein Umweltverband.«
»Ich muss zugeben«, sagte Fabel, »dass mir
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