Jan Fabel 06 - Tiefenangst
der Gedanke, über dem Meer in der Luft zu hängen, nicht gefällt.«
»Sie haben Angst vor dem Wasser, Herr Fabel?«
»Nein … keine Angst. Ich bin in Norddeich aufgewachsen und habe einen gesunden Respekt vor ihm.«
»Das einzige Wasser, vor dem ich Angst habe«, sagte Wiegand, der plötzlich weniger leutselig und dafür ernster geworden war, »ist dunkles Wasser. Haben Sie schon vom Albedo-Effekt gehört? Albedo ist das Rückstrahlvermögen von nicht selbst leuchtenden Oberflächen. Polareis reflektiert die Sonnenstrahlen und verhindert so, dass sich das Meer erwärmt. Je mehr Eis, desto kühler ist das Meer und desto stabiler das Klima. Je größer das Verhältnis von dunklem Wasser zu weißem Eis ist, desto schneller erhitzt sich der Planet. Von Jahr zu Jahr findet man weniger Eis an den Polen und immer mehr dunkles Wasser. Was auch immer Sie von mir oder dem Pharos-Projekt halten mögen, Herr Fabel, ich fürchte mich aufrichtig vor der Katastrophe, die uns erwartet, und nutze jede Waffe, die mir zur Verfügung steht, damit es nicht dazu kommt. Dies ist kein Spiel, sondern eine Schlacht ums Überleben.«
Fabel nickte nachdenklich. Wie weit würde Wiegand gehen, und welche Waffen war er bereit einzusetzen? Zudem hatte Fabel gelesen, dass sich Wiegands persönliches Vermögen nicht auf Millionen, sondern auf Milliarden belief, und an jeder Apokalypse konnte man verdienen.
»Vielleicht werde ich Sie besuchen, Herr Wiegand«, sagte er und musterte die Visitenkarte. Sie zeigte das gleiche stilisierte Auge wie das Plakat, das er auf der Fahrt zum Flughafen bemerkt hatte. »Bald.«
Sobald Fabel im Auto saß, schaltete er sein Handy wieder ein. Es klingelte fast sofort.
»Okay«, sagte Anna Wolff. »Eine interessante Sache. Ich habe die Namen und auch das Kennzeichen gecheckt, die du mir genannt hast … Wenn das Auto dir wirklich gefolgt ist, dann nicht, weil es zu unseren oder denen des BfV gehört. Es ist unter Seamark International gemeldet, einer maritimen Sicherheitsfirma.«
»Was? Warum zum Teufel folgt mir eine private Sicherheitsfirma?«
»Soll ich jemanden zu ihrer Zentrale schicken, um ein paar Antworten zu erhalten?«
»Nein, noch nicht. Sie brauchen nicht zu wissen, dass ich ihnen auf die Schliche gekommen bin. Aber wenn ich dasselbe Auto noch einmal hinter mir sehe, werde ich es anhalten lassen. Inzwischen könntest du diese Firma Seamark International für mich überprüfen. Ich würde ein Monatsgehalt darauf wetten, dass sie sich als Tochtergesellschaft des Korn-Pharos-Konzerns entpuppt. Was ist mit den Namen, die ich dir genannt habe?«
»Victoria Kempfert könnte keine reinere Weste haben. Keine Vorstrafen oder Verhaftungen, kein nennenswerter Kontakt mit der Polizei. Viel interessanter ist Daniel Föttinger. Er scheint jemand gewesen zu sein, der sich mit einem Nein nicht abfindet. Letztes Jahr ist ihm von einer Angestellten sexuelle Belästigung vorgeworfen worden, und man hat ihn zwei Mal wegen Vergewaltigung verklagt. Das erste Mal noch während seines Studiums und das zweite Mal 1999. Alle drei Anklagen wurden fallen gelassen, sobald die Polizei mit den Ermittlungen begann. Föttingers Papa hatte offenbar genug Kohle, um unerfreuliche Dinge ungeschehen zu machen … Und das Gleiche gilt nun für Föttinger junior.«
»Wirklich interessant.«
»Das ist noch nicht alles. Föttingers Eltern ließen ihn nach dem ersten Vorfall in eine Privatklinik in Bayern einweisen, eine psychiatrische Klinik. Ich habe einen richterlichen Befehl beantragt, damit wir an die Unterlagen herankommen. Ich dachte, dass du sie haben willst. Wer weiß, wie relevant all das ist, aber vielleicht wollte sich jemand an ihm rächen.«
»Gut gemacht, Anna.« Fabel überlegte. »Würdest du mir die Namen und Adressen der Opfer besorgen? Ich möchte mit ihnen reden. Oder wenigstens mit einer der Frauen.«
»Natürlich, Chef, aber ich brauche etwas Zeit. Muss mich in zehn Minuten auf die Socken machen. Ich fahre zu dem Behinderten, mit dem du gesprochen hast – Johann Reisch. Zwei Beamte sind draußen, um seinen Computer zu überprüfen, einer von der Technischen Abteilung und noch einer von Cyberverbrechen. Übrigens, die sind sauer auf dich. Sie meinen, die Verzögerung könne es ihm ermöglicht haben, eine Menge Beweismaterial zu löschen.«
»Reisch ist nicht unser Mann, Anna. Das sagt mir der gute alte Polizisteninstinkt, nicht die Technik.«
»Also, das Problem ist, dass sie vor Reischs Haus stehen und
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