Jan Fabel 06 - Tiefenangst
gar nicht unter Schock zu stehen und auch nicht von Kummer geplagt zu sein. Vielleicht war es eine erzwungene Selbstkontrolle, die ihr zeitweilig jede sichtbare Emotion raubte.
»Frau Föttinger hat etwas eingenommen. Ein leichtes Beruhigungsmittel, das ihr ihr Arzt verschrieben hat«, erläuterte der ältere Mann.
»Und Sie sind …?« Fabel wandte sich ihm direkt zu.
»Peter Wiegand. Ein Freund der Familie. Außerdem war ich Geschäftspartner von Daniel.«
»Peter Wiegand? Der stellvertretende Vorsitzende des Pharos-Projekts?«
»Ich arbeite seit fast dreißig Jahren mit Dominik Korn zusammen und bin vor allem Vizepräsident und technischer Leiter des Korn-Pharos-Konzerns. Aber natürlich bin ich auch im Pharos-Projekt aktiv. Kirstin und ihr Mann sind Mitglieder, und deshalb bin ich hier, um in dieser schwierigen Zeit Hilfe und Trost anzubieten.«
»Aha.« Fabel sah fragend zu dem anderen Mann hinüber.
»Entschuldigen Sie …«, sagte Wiegand. »Das ist Frank Bädorf. Er ist der Sicherheitschef der Gruppe. Wegen der gewaltsamen Umstände von Daniels Tod hielt ich es für ratsam, ihn mitzubringen.«
»Der Gruppe?«, fragte Fabel, an Bädorf gewandt. »Heißt das, dass Sie für den Korn-Pharos-Konzern oder für das Pharos-Projekt arbeiten?«
»Ich bin kein Mitglied des Projekts«, erwiderte Bädorf. Er hatte einen südlichen Akzent. Schwäbisch, dachte Fabel. »Sondern ich arbeite für die Korn-Pharos-Unternehmensgruppe. Ob Sie es glauben oder nicht, Herr Leitender Hauptkommissar, man muss sich als Mitarbeiter des Konzerns dem Projekt keineswegs anschließen.«
»Verstehe«, sagte Fabel. Aber er erinnerte sich an etwas, das er in Menkes Akte über das Projekt gelesen hatte; an die Gerüchte über das Konsolidierungs- und Vollstreckungsbüro, das so klang, als befasse es sich mit Firmenzusammenschlüssen und der Einhaltung von Verträgen, doch in Wirklichkeit als Geheimpolizei des Pharos-Projekts fungierte. Fabel musterte Bädorf und war sich recht sicher, einen Konsolidierer vor sich zu haben. Noch dazu einen ranghohen. Fabel hatte diesen Termin telefonisch vereinbaren müssen, wodurch das Projekt Gelegenheit gehabt hatte, jemanden vorbeizuschicken, der Kirstin Föttinger dazu bringen konnte, die richtigen Antworten zu geben.
Fabel wandte sich der jungen Witwe zu. »Frau Föttinger, könnte ich unter vier Augen mit Ihnen sprechen …«
»Mir wäre es lieber, wenn Herr Wiegand und Herr Bädorf hierblieben. Herr Wiegand war eine große Stütze für mich.«
»Wie Sie wünschen. Darf ich?« Fabel deutete auf den Sessel ihr gegenüber. Es war einen Versuch wert gewesen, doch eigentlich hatte er gewusst, dass man ihm niemals gestattet hätte, Föttingers Witwe ohne einen Pharos-Vertreter zu befragen. Sie nickte, und er nahm Platz.
»Ich weiß, dass dies ein sehr schmerzliches Thema für Sie ist, Frau Föttinger, aber waren Sie über die Beziehung zwischen Ihrem Mann und Victoria Kempfert informiert?«
»Ich habe erst nach Daniels Tod von einer solchen Beziehung erfahren.« Ihre Antwort klang eingeübt.
»Kennen Sie Victoria Kempfert?«
»Wir sind uns nie begegnet.«
»Wissen Sie, welchen Grund jemand gehabt haben könnte, Ihrem Mann zu schaden oder ihn zu töten?«
»Ich hatte angenommen, dass es ein Unfall war …«, schaltete Wiegand sich ein. »Nun, vielleicht kein Unfall, aber ich dachte, die Täter hätten lediglich beabsichtigt, das Auto in Brand zu stecken, während Daniel im Café saß.«
Fabel ignorierte die Unterbrechung. »Frau Föttinger?«
»Nein. Nicht ihn persönlich. Daniel war kein Mensch, der sich Feinde machte. Andererseits ist es möglich, dass manche Gruppen ihm misstrauten – wegen der Aktivitäten der Firma.«
»Zum Beispiel?«
»Föttinger Environmental Technologies ist führend im Bereich seegestützter Kohlenstoffabscheidung. Daniel war ein wichtiger Akteur und einer der Organisatoren des GlobalConcern-Hamburg-Gipfels.«
»Warum sollte jemand etwas gegen Kohlenstoffabscheidung haben?«
»Es liegt an unserer Methode. Daniel hat eine wirkungsvollere Form des Eisensäens vervollkommnet.«
»Eisensäen?«
»Vielleicht darf ich das erklären«, schaltete Wiegand sich ein. »In diesem Bereich arbeitet die Firma von Herrn Föttinger mit dem Korn-Pharos-Konzern zusammen. Eisensäen ist genau das, wonach es sich anhört: Man sät Eisenstaub in der Tiefsee.«
»Zu welchem Zweck?«
»Einfach ausgedrückt: um atmosphärisches Kohlendioxid auf dem Meeresboden zu binden. Die
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