Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Theorie ist schon seit einiger Zeit bekannt, und man hat Versuche mit gemischten Resultaten durchgeführt. Ich vermute, dass sogar Beamte der Polizei Hamburg wissen, welche Gefahr dem Planeten droht: nämlich die Erhöhung des CO 2 in der Atmosphäre, was zu einer katastrophalen globalen Erwärmung führen kann. Die beiden Hauptursachen sind Emissionen in die Atmosphäre und die Entwaldung. Dadurch wird die Fähigkeit der Biosphäre verringert, Kohlendioxid zu verarbeiten. Was wissen Sie über Plankton, Herr Fabel?«
»Es wird von Walen gefressen. Das war’s.«
»Es gibt zwei Arten von Plankton: Phytoplankton und Zooplankton. Das Erstere bezeichnet mikroskopisch kleine Pflanzen, das Letztere mikroskopisch kleine Tiere. Das Prinzip des Verfahrens besteht darin, dass der Eisenstaub, der im Ozean ausgesät wird, als Düngemittel dient. Er hat eine Bevölkerungsexplosion des Phytoplanktons ausgelöst. Und da Phytoplankton eine pflanzliche Substanz ist, baut es mithilfe der Fotosynthese Kohlenstoffdioxid ab und entlässt Sauerstoff in die Atmosphäre. Schon jetzt wird ein hoher Anteil der ›Atmung‹ des Planeten vom Phytoplankton vollzogen. Die Theorie lautet, dass durch die Erhöhung des Phytoplanktonvolumens im Ozean die Lücke gefüllt werden kann, die durch die Verringerung des Regenwalds und anderer großer Vegetationen auf dem Land entstanden ist. In vielen Tests ist es tatsächlich zu einer starken Erhöhung des Volumens gekommen. Durch Fotosynthese werden außerdem organische Stoffe, nämlich Zucker, geschaffen, die das Phytoplankton in die dunkleren Ozeanschichten sinken lassen, wodurch der Kohlenstoff auf dem Meeresboden haften bleibt. Interessanterweise würde dieses tote Plankton im Laufe der Zeit zu Mineralöl werden.«
»Warum versucht nicht jeder, diesen Prozess einzuleiten?«, fragte Fabel.
»Es gibt ein Problem. Vereinfachend gesagt erzeugen Pflanzen Sauerstoff und Tiere Kohlendioxid. Zooplankton, das CO 2 ausstößt, lebt ebenfalls in den sonnenbeschienenen Ozeanschichten und ernährt sich vom Phytoplankton. Das hatte zur Folge, dass das Zooplankton in manchen Testgebieten im selben Maße zunahm wie das Phytoplankton, wodurch die postive Wirkung der Eisenaussaat aufgehoben wurde. Deshalb bleibt dieses Verfahren für manche Umweltschützer umstritten. Einige halten die Eisenaussaat für eine zusätzliche Gefahr, nicht für eine Lösung des Problems.«
»Groß genug, um die Feinde von Herrn Föttinger zu einem Mordanschlag zu bewegen?«
Wiegand zuckte die Achseln. »Sie sind der Polizist, Herr Fabel.«
»Wenn dieses Aussäen von Eisen so umstritten ist, warum haben Sie und Föttinger Environmental es dann gefördert?« Fabel registrierte, dass er nicht mehr die Person befragte, der sein Besuch galt, doch er ließ sich bewusst für eine Weile ablenken.
»Weil, wenn wir die Probleme lösen können, die potenziellen Vorteile gewaltig sind. Das Verfahren könnte uns allen das Leben retten. Und Daniels Forscher stehen kurz davor, mögliche Lösungen zu entwickeln. Sie haben neue Elemente eingebracht, die den Prozess beschleunigen würden, sodass das Phytoplankton viel schneller zu Boden sinkt. Zooplankton kann in mehr als dreihundert Meter Tiefe nicht überleben. Wenn wir also größere Mengen Phytoplankton nach der Fotosynthese, doch bevor das Zooplankton es fressen kann, unter diese Höhe sinken lassen, haben wir unsere Lösung.«
»Aha. Haben Sie Konkurrenten … Wettbewerber auf diesem Gebiet?«
Wiegand lachte. »Niemand würde einen Mord begehen, um eine Führungsposition einnehmen zu können. Die Umweltbranche lässt sich auf so etwas nicht ein. Der Planet hat immer den Vorrang vor dem Profit.«
Fabel richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Kirstin Föttinger. Er stellte die üblichen Fragen, um eine möglichst detaillierte Chronologie der Aktivitäten des Toten zu erhalten.
»Nach Ihren Angaben, Frau Föttinger«, sagte er schließlich, »verbrachte Ihr Mann – genau wie Sie übrigens – abends mehr als sechs Stunden im Internet oder sonst wie an Computern?«
»Das stimmt.« Das Porzellangesicht ließ keinen Hinweis darauf erkennen, dass ein solches Verhalten als ungewöhnlich gelten könne. »Es war ein Teil seiner Arbeit und seiner Persönlichkeit. Und meiner auch. Wir beide wollten immer mit dem Web in Verbindung sein.«
Fabel nickte, nahm sich jedoch vor, mit seinem Team zu besprechen, ob es möglich sei, eine Vollmacht zur Untersuchung von Föttingers Computern zu erhalten.
Weitere Kostenlose Bücher