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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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ausziehen, denn die Gebetshäuser der Hindus dürfen nur barfuß oder auf Socken betreten werden. Weißt du noch, Jan, wie du dich schämtest, weil du in deinem linken Strumpf ein großes Loch hattest?“
    „Erlaube mal!“ protestierte Jan. „Du hattest ein Loch im Strumpf, und zwar im rechten! Und im linken hattest du eins mit roter Wolle gestopft, obwohl der Strumpf grün war.“
    „Da hört sich doch alles auf!“ widersprach Jochen. „Meine Strümpfe waren vollkommen heil, deine waren so bunt repariert! Aber laß das jetzt, es bringt uns ganz vom Kern der Sache ab. Schließlich wollen wir von dem Elefantenrennen erzählen und nicht von den Löchern in deinen Strümpfen.“
    „In deinen Strümpfen!“ konterte Jan.
    „Also schön, in unsern Strümpfen“, räumte Jochen ein. „Jedenfalls hatten wir nach sieben bis acht Tempelbesichtigungen genug von all den Shivas, Vishnus, Ganeshas und Hanumans und verlangten den Palast eines Maharadjas zu sehen.“
    „Jawohl“, nahm Jan wieder das Wort, „wir hatten so viel von dem Prunk, dem Glanz und dem Überfluß der indischen Fürstenhäuser gehört, daß wir sehr neugierig waren, eins kennenzulernen. Unser Führer, der feingliedrige Brahmane, war auch bereit, uns zu geleiten, gegen nochmalige Bezahlung, versteht sich. Wir mieteten also eine Tonga, so eine einachsige Pferdedroschke, und rollten aus der Stadt.“
    „Entschuldige die Unterbrechung“, unterbrach Jochen, „wir nahmen uns je eine Rikscha, und der Brahmane ging zu Fuß.“
    „Irrtum“, verteidigte sich Jan, „das mit den Rikschas war in Kalkutta, wo du dem Schlangenbeschwörer eine Königskobra abkaufen wolltest. In Bombay war es eine Tonga, daran gibt es gar keinen Zweifel.“
    Die Kinder merkten, wie sehr den beiden Erzählern an der Wahrheit ihres Berichtes gelegen war, und begannen jedes Wort zu glauben. Das wiederum merkten die Erzähler, und es beflügelte sie wunderbar.
    „Nachdem das magere Pferd über zwei Stunden lang in der sengenden Hitze gelaufen war und uns viele Kilometer weit ins offene Land gezogen hatte, blieb es plötzlich stehen und verweigerte den Dienst“, fuhr Jan fort. „Wir konnten das begreifen, denn wir waren vom bloßen Dasitzen in der Sonnenglut schon müde und durstig geworden; das arme Tier aber war zu Fuß getippelt, wievielmehr mußte es da an Durst leiden. Und Durst, Kinder, ist das Schlimmste, was die Erde für uns bereithält.“
    Er öffnete die Schnapsflasche und füllte die Gläser aufs neue. „Prost, Jochen!“
    „Prost, Jan“, antwortete der und nahm den Faden wieder auf. „Weil wir aber nun schon einmal unterwegs waren und der Palast des Maharadjas bereits in der Nähe sein sollte, machten wir uns mit Hilfe unserer eigenen Füße auf den Weitermarsch. Der Brahmane kriegte sein Geld und blieb mit dem Kutscher bei der Tonga zurück. Natürlich war uns klar, daß eine Wanderung bei vierzig Grad im Schatten kein Spaziergang sein würde, aber mit dem, was da auf uns zukam, hatten wir doch nicht gerechnet. Schon nach zwanzig Minuten fühlten wir uns völlig ausgetrocknet und lechzten nach einem Tropfen Wasser.“
    „Dabei“, fiel Jan Tabak ihm ins Wort, „schwitzten wir wie ein Dampfkessel von den Ohren bis zu den kleinen Zehen. Der Schweiß floß an uns hinunter und lief in kleinen Bächen hinter uns her. Durstige Vögel flatterten nieder, badeten darin und schöpften so neue Lebenskraft. Wir aber schleppten uns weiter und weiter. Ach, was hätten wir für ein Glas Bier gegeben! Für ein halbes!! Für einen Tropfen!!! Der Palast des Maharadjas war immer noch nicht zu sehen. Zurückgehen zu der Tonga mit dem erschöpften Pferd konnten wir auch nicht mehr. Wir mußten durchhalten, wenn wir nicht elendig umkommen wollten.“
    „Und wir hielten durch“, griff Jochen das Stichwort auf. „Wir torkelten zwar, setzten aber unermüdlich Fuß vor Fuß. Einmal stürzte Jan und wollte aufgeben, doch ich half ihm hoch, stützte ihn brüderlich und führte ihn so lange, bis er den Kampf wieder allein ausfechten konnte.“
    „Jawohl“, bestätigte Jan Tabak, „so war es. Ich danke dir noch heute dafür, Jochen. Tatsächlich wäre ich ein Fraß der vielen Geier geworden, die uns geduldig von Baum zu Baum nachflogen, wenn du nicht gewesen wärst. Aber durch dein Verdienst, deine übermenschliche Anstrengung, wurde ich dem Leben zurückgeschenkt und konnte fast ein wenig erholt weiterwandern. Du jedoch, entschuldige, Jochen, daß ich es erzähle, du weißt ja,

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