Jan Tabak geht aufs Ganze
merkwürdigen Klopfgeräusche hören solltest, so wie mit einem knöchernen Finger, weißt du, dann wird es gefährlich. Die sind nämlich das Zeichen dafür, daß meine Voraussage sich erfüllt.“
Karl Landwehr, der immer noch in der Tür stand, schluckte.
„Ich höre sie schon“, sagte er tonlos. „Abends, wenn ich in der Küche sitze und esse, klopft es an die Scheibe, immerzu, immerzu. Verkrieche ich mich dann in mein Bett, klopft es da auch! Es ist zum Wahnsinnigwerden, ich kann es nicht mehr aushalten! Bitte, Jan, sag mir, was du noch gesehen hast! Verrate mir, was ich tun muß, damit das fürchterliche Klopfen aufhört!“
Die beiden Frauen sahen ihn böse an, Tim und Nicole spielten hingegeben mit Lady. Ihre Gesichter waren tomatenrot.
„Lassen Sie das Trinken sein, Karl Landwehr!“ rief Tina. „Und prügeln Sie Ihren Jungen nicht mehr! Wir waren dabei, als Jan sein Gesicht hatte; wenn Sie nicht mehr trinken, können Sie wieder gesund werden.“
„Stimmt das, Jan?“ fragte Karl ängstlich.
„Ja“, antwortete der, „das ist die Wahrheit, so habe ich es gesehen.“ Karl Landwehr bedankte sich und stürzte hinaus.
Jenny trank einen großen Schluck Tee.
„War das der Trinker, der seinen Sohn schlägt?“ fragte sie. „Der Mann ist doch eigentlich sehr sympathisch.“
„Kunststück“, sagte Tina, „jetzt, wo ihm das Wasser bis zum Hals steht.“
Für Richard Landwehr war die Zeit des Leidens vorüber. Sein Vater betrank sich nur noch ganz selten und prügelte ihn nie mehr. Das Klopfen hörte er zwar noch einmal, aber ganz schwach. Daraus konnte er mit Sicherheit schließen, daß sich sein Zustand besserte. Tim und Nicole, die an seiner Gesundung so wirkungsvoll mitgearbeitet hatten, bewunderten ihren Onkel sehr, konnten sich aber eines Nachmittags, als sie auf der Bank im Garten saßen, eine bestimmte Frage nicht länger verkneifen.
„Sag mal, Onkel Jan“, begann Nicole, „wie war das mit dem zweiten Gesicht? Hast du das alles vorausgesehen, was du uns erzählt hast?“ Jan Tabak zog die Augenbrauen hoch.
„Du zweifelst doch nicht etwa daran?“ fragte er zurück.
„Nein, nein“, versicherte Nicole. „Ich meine nur, weil wir doch das Klopfen besorgt haben!“
„Ja und?“ fragte Jan. „Ich habe vorausgesehen, daß wir es besorgen würden, und wie du selber miterlebt hast, habe ich mich nicht geirrt.“
Jan repariert das Dach
Zur gleichen Zeit, als Jan mit Hilfe seines zweiten Gesichtes Karl Landwehrs Heilung betrieb, geschah etwas im Hause Marwedel, was der streitsüchtigen Oma Jenny großes Ansehen bei ihren Gastgebern und den Kindern einbrachte.
Eines Tages war sie mit Tina in einem Taxi in die Stadt gefahren, um größere Einkäufe zu machen. Die beiden Damen wollten sich viel Zeit nehmen und erst um achtzehn Uhr zurückkehren. Für Jan Tabak und die Kinder hatten sie ein leckeres Essen, das nur aufgewärmt werden mußte, vorbereitet. So brauchten sie sich um die Zurückbleibenden keine Sorgen zu machen.
Die verlebten auch einen unbeschwerten Nachmittag. Sie fuhren eine Stunde mit dem Motorboot, angelten eine Weile, ohne allerdings einen einzigen Fisch zu fangen, und saßen lange müßig auf der Bank im Garten.
Da entdeckte Jan Tabak die Dachpfannen, die er von Jochen Langewisch mitgebracht hatte, und erinnerte sich daran, daß sein Haus oben nicht ganz dicht war.
„Was meint ihr, Kinder“, sagte er, „wollen wir nicht das Dach reparieren? Ihr wißt, daß eure Tante Wert darauf legt, eine trockene Stube zu haben. Wenn ihr mit anfaßt, ist das in einer halben Stunde zu schaffen.“
„Klar wollen wir!“ begeisterte sich Tim sofort. „Ich bin vollkommen schwindelfrei und kann gut klettern.“
„Ich auch!“ rief Nicole. „In unserm letzten Internat war ich das einzige Mädchen, das auf den Maibaum ‘raufkam.“
„Schön“, sagte Jan, „dann wollen wir unverzüglich ans Werk gehen.“ Sie suchten das Gerät zusammen und fingen an.
Jan besserte notdürftig die morsche Leiter aus, klemmte sich zwei Pfannen und einen Hammer unter den Arm und stieg hinauf. Zu seinem Glück brach schon die dritte Leitersprosse, so daß er beim Absturz nicht so tief fiel und sich nur den Fuß verstauchte. Aber aus den zwei ganzen Pfannen wurden vier halbe.
Jan schimpfte und stellte sachlich fest, daß man mit schlechtem Gerät keine gute Arbeit leisten könne.
„Geh doch mal eben zu Steengrafe ‘rüber“, bat er Nicole, „und frag, ob wir ihre Leiter haben
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