Jan Tabak geht aufs Ganze
euch ins Versteck, und dann wollen wir den Prügelmeister mal das Fürchten lehren.“
Die Kinder verstanden. Reglos kauerten sie bald hinter den Büschen, während Jan Tabak wie eine Katze durch den Garten schlich und sich an drei verschiedenen Fenstern des Hauses zu schaffen machte.
Mit größter Vorsicht klebte er die Gummis fest. Dabei hörte er Karl Landwehr in der Küche mit jemandem sprechen, möglicherweise führte er auch nur ein Selbstgespräch. Im Wohnzimmer und im Schlafzimmer brannte kein Licht.
Als Jan sich nach wenigen Minuten neben den Kindern niederhockte, flüsterte er: „Wir fangen mit der Küche an, da sitzt der Bösewicht. Wartet nur, dem wird gleich die Bierflasche aus der Hand fallen.“
„Aber wenn er das Fenster aufmacht und den Klopfer entdeckt?“ fragte Nicole ängstlich.
„Das ist so gut wie unmöglich“, beruhigte Jan sie. „Ich habe das Gummi nämlich an den feststehenden Flügel geklebt. Außerdem können wir notfalls die ganze Anlage durch kräftigen Zug abreißen und zu uns herziehen. So, jetzt keine Diskussionen mehr, der Spaß beginnt! Gib mir die Schnüre, Tim!“
Einen Augenblick später hörten die drei Lauscher in der Stille der Nacht ein unwirklich knöchernes Klopfen, mahnend und drohend. Dann verstummte es, Jan hielt die Schnur still. Nach einer Weile hub es wieder an, lauter, drängender, bedrohlicher.
Da regte es sich am Haus.
Das Küchenfenster wurde geöffnet, und Karl Landwehrs Kopf wurde sichtbar, ein dunkler Schattenriß vor dem hellen Fensterviereck. „Wer ist da?“ hörten sie den Mann rufen, nicht sehr laut, eher verhalten und ängstlich. Natürlich gab niemand eine Antwort.
Karl beugte sich in die Dunkelheit hinaus, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken. Darum schloß er das Fenster wieder und ließ das Rollo herunter.
„Na, was meint ihr, Kinder, ob er schon Herzklopfen hat?“ fragte Jan Tabak kichernd. „Gönnen wir ihm eine Pause von zwei Minuten. Er muß ja Gelegenheit haben, mit seiner Frau darüber zu streiten, ob er sich das Klopfen nur eingebildet oder wirklich gehört hat.“
„Es klingt bestimmt ganz schön schaurig, wenn einer um diese Zeit ans Fenster klopft“, flüsterte Nicole.
„Darauf kannst du dich verlassen“, stimmte Jan ihr zu. „Sollte mich gar nicht wundern, wenn der ruppige Kerl keinen Appetit mehr auf sein Bier hat. So, und nun ein zweites Mal, aber ein bißchen kräftiger, damit es unserm bösen Karl so richtig auf die Galle schlägt.“
Jan zerrte an der Schnur und verursachte ein schreckliches Trommelfeuer an der Scheibe.
Da erlosch das Licht in der Küche.
„Aha“, kommentierte Jan, „jetzt hat er die Hosen voll und kriecht ins Bett.“
Tatsächlich ging einen Augenblick später im Schlafzimmer das Licht an. Jan Tabak nickte grimmig.
„Es nützt dir nichts, wenn du dich unter Decken und Kissen versteckst, du Wüstling“, zischte er leise. „Den Finger des Wahnsinns wirst du auch noch in deinen Träumen klopfen hören.“ Und schon zupfte er wieder an der Schnur.
Daraufhin vernahmen sie deutlich einen Schrei, der durch das geschlossene Fenster zu ihnen herausdrang. Dann wurde das Fenster aufgestoßen, und Karl Landwehr schrie sein Entsetzen in die Nacht hinein.
„Hau ab! Verschwinde! Ich bin ganz gesund, und ich saufe, soviel ich will. Daran kann mich keiner hindern, basta!“
Und schon wurde das Fenster wieder zugeschlagen.
„Junge, Junge“, flüsterte Tim, „der ist ja jetzt schon mit den Nerven ‘runter.“
„Das wollen wir hoffen“, sagte Jan, „sonst hätte sich unser Einsatz ja nicht gelohnt. Kommt, einmal soll unser Knochenfinger ihm noch ins Gewissen reden, dann mag es für heute genügen.“
Und er klopfte wieder, furchterregend, fordernd, Einlaß begehrend. Dann riß er mit einem heftigen Ruck die ganze Einrichtung ab und zog sie zu sich heran. Die Klopfer an Küchen- und Wohnzimmerfenster entfernte er auf dieselbe Art.
„Nun wollen wir ihn mit seinem Grauen allein lassen“, wisperte er. „Daran hat er eine lange Nacht zu knabbern.“
Leise schlichen sie durch den Garten der Landwehrs zu ihrem Boot. Bald trieben sie mit dem einsetzenden Ebbstrom mitten auf dem Fluß dahin.
„Einen Fehler hat dein Heilungsversuch“, sagte Tim nach einer Weile nachdenklich. „Wenn Landwehrs Frau und Sohn das Klopfen auch hören, weiß er, daß es nichts mit seiner Krankheit zu tun haben kann.“
„Die beiden hören es aber nicht“, sagte Jan und schmunzelte. „Wieso nicht?“
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