Jan Tabak geht aufs Ganze
können. Sag, daß unsere nicht mehr ganz in Ordnung sei.“
Steengrafes Leiter war gesund und fest, aber sehr schwer, denn sie war acht Meter lang und aus Holz. Bis sie endlich an der richtigen Stelle in der richtigen Schräge richtig stand, verging eine Stunde. „Ja, ja“, stöhnte Jan, „der Mensch muß sich quälen, wenn er eine verrückte Frau hat. Ich fürchte fast, die Reparatur dauert etwas länger, als ich glaubte.“
„Laß mich ‘raufklettern!“ bat Tim. „Ich bin leichter und jünger als du.“
Aber davon wollte Jan nichts wissen.
„Nein, mein Junge, das ist Männersache. Dachdecken ist Jugendlichen unter achtzehn Jahren nicht erlaubt. Aber wenn du unbedingt was Sinnvolles tun willst, dann halte die Leiter fest.“
Vorsichtig nahm er die nächsten beiden Dachpfannen in die Hand, zwängte den Hammer hinter den Gürtel und machte den zweiten Versuch.
Diesmal langte er wohlbehalten oben an. Nur als er sich mit einem Fuß in die Gosse stellte, um sich von da aus, auf dem Bauch liegend, höher zu ziehen, wäre er beinahe abgestürzt, denn die Gosse war schon alt und für sein Gewicht nicht mehr haltbar genug. Sie löste sich und knickte ab. Jan klammerte sich mit der freien Hand am Dach fest und legte, um die andere auch frei zu bekommen, die mitgebrachten Dachziegel recht unsanft auf die eingebauten. Das jedoch konnten weder diese noch jene vertragen. Es krachte trocken, und dann war ein großes Loch im Dach, durch das Lady hätte schlüpfen können, wenn sie eine Katze gewesen wäre.
„Onkel Jan, fall bloß nicht herunter!“ schrie Nicole von unten. Es sah in der Tat recht gefährlich aus, wie er da mit den überhängenden Beinen durch die Luft ruderte und nach einem Halt suchte.
Das fanden die beiden sonntäglich gekleideten älteren Damen auch, die soeben aus einem Taxi stiegen.
„Was macht denn der Mensch jetzt schon wieder?“ fragte Jenny erschrocken. „Kann man deinen Mann nicht einen halben Tag allein lassen?“
Tina, nicht weniger erschrocken, aber entschlossener und praktischer als ihre Tante, legte das mitgebrachte Paket nieder und rückte die Leiter gewaltsam einen halben Meter weiter nach rechts, auf Jan zu. Dann stieg sie hinauf, fing seine wedelnden Beine ein und führte die Füße auf die nächste Sprosse.
„Komm, Jan“, sagte sie, „ich halte dich, hab keine Angst!“
Als die Eheleute sicher den Boden erreicht hatten, holte Tina tief Luft, nahm ihren Mann in die Arme und gab ihm vor den erstaunten Augen von Nicole, Tim und Jenny einen Kuß.
„Du bist ein Döskopp“, sagte sie. „Heilmachen sollst du das Dach, kaputt geht es von selbst. Marsch ‘rein mit dir, gönn dir einen Kleinen auf den Schreck und gieß mir auch einen ein.“
Nachdem sich beide auf diese Weise beruhigt und gestärkt hatten, nahm Tina sich das Telefonbuch vor, suchte darin herum und bestellte dann einen Dachdecker aus der Stadt.
„Man soll doch nie am falschen Ort sparen“, sagte sie, lächelte ihren Mann dankbar an und schob ihm die Flasche zu, damit er sich noch einen eingieße.
Der Dachdecker, den Tina bestellt hatte, ließ sich Zeit. Da er viel Arbeit und wenig Leute hatte, machte er das zuerst, was ihm mehr Gewinn einbrachte. Er deckte einen großen Neubau in Huchting, ein Achtfamilienhaus in der Neustadt und mehrere Riesenbauten in Vegesack. Danach schloß er seinen Betrieb für drei Wochen und machte Urlaub in Italien.
Als er braungebrannt zurückkehrte, mußte er sofort einen modernen Bungalow in Fischerhude eindecken, weil der Bauherr, ein Oberregierungsrat, schnellstens ein Dach über dem Kopf brauchte. Den lächerlichen Reparaturauftrag aus Niederblockland schob er immer noch eine Weile hinaus, obwohl er mehrmals telefonisch gemahnt wurde. Schließlich vergaß er ihn.
Als aber die Schönwetterperiode, die fast zwei Monate lang angehalten hatte, von einer unfreundlichen Regenzeit abgelöst wurde, mußte er sich wohl oder übel wieder daran erinnern. Es klopfte nämlich jemand sehr energisch an seine Bürotür. Und dieser Jemand wartete nicht auf sein „Herein!“, sondern öffnete die Tür uneingeladen und pflanzte sich drohend vor ihm auf.
„Sind Sie der Meister dieses liederlichen Betriebes?“ fragte die Person.
„Ja, natürlich! Das heißt, wieso? Was fällt Ihnen ein? Er ist doch nicht liederlich“, stammelte der Mann überrascht.
„So? Dann sehen Sie mal in Ihrem Auftragsbuch nach, wann Sie nach Niederblockland zu Marwedels kommen sollten!“
„Marwedel?“
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