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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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ganz eigenartige Lähmung zwingen, mit erhobenen Händen herumzulaufen, mit Händen, die zum Schlagen erhoben sind! Und er wird sie nie wieder herunternehmen können, nie, solange er lebt. Daran können alle Leute erkennen, was für ein Bösewicht er war.“
    „Nein, wie schrecklich!“ sagte Jenny. „Aber ich gönne es ihm.“
    Jan war noch nicht am Ende.
    „Die schlimme Krankheit wird sich ankündigen, sie wird mahnend ans Fenster klopfen“, fuhr er fort, „mit knöchernem Finger, und wenn er sich besinnt, kann er sich retten. Aber es besteht nur geringe Hoffnung dafür, denn er überschätzt sich und seine Kraft.“ Erschöpft sank Jan nach diesen Worten auf einen Stuhl und schloß die Augen. Schließlich stand er auf und ging wortlos hinaus.
    Die Zurückbleibenden sahen sich betroffen an.
    Eine halbe Stunde später war Tina bei Gesine Fuchs drüben und berichtete ihr, was Jan Tabak vorausgesehen hatte, und am nächsten Tag wußte auch Karl Landwehr, was ihn erwartete. Er soll, so erzählte Gesine, als sie Tina am Brotwagen traf, anfangs lauthals gelacht und Jan Tabak einen dösigen Spökenkieker genannt haben. Nach und nach aber sei er still und nachdenklich geworden und sehr früh zu Bett gegangen, obwohl er eigentlich noch zum Schützenfest nach Lilienthal habe fahren wollen. Als Tina das Gehörte noch warm an ihre Hausgenossen weitergab, nickte Jan zufrieden und sagte leise: „Es wirkt bereits. Vielleicht ist noch nicht alles zu spät.“
    Drei Tage später machte er sich in seinem Arbeitsschuppen mit einer langen Schnur, einigen Einweckgummiringen und mehreren hölzernen Stöpseln zu schaffen.
    „Was soll das werden?“ fragte Nicole, die ihm zusah.
    „Das wird der mahnende Finger, der bei Karl Landwehr ans Fenster klopft“, erklärte Jan. „Wenn ihr nicht zu müde seid, dürft ihr heute abend dabeisein; es scheint nämlich so, als wolle er sich heute zum erstenmal hören lassen.“
    Nach diesen bedeutungsvollen, aber für Nicole völlig unverständlichen Worten wandte Jan Tabak sich wieder seiner Bastelei zu. Gegen Abend senkte sich ein Nebelschleier auf Fluß und Land. Das paßte wunderbar in Jans Plan. Früher als sonst erhob er sich nach dem Abendbrot, gähnte und sagte, daß er zu Bett wolle. Auch die Kinder heuchelten große Müdigkeit und stolperten die Treppe in ihr Zimmer hinauf. Sie kamen aber sofort wieder herunter, unhörbar auf Zehenspitzen tappend, und verschwanden durch die Diele in den Hof. Lady wußte von dem Ganzen nichts Rechtes zu halten, sie schüttelte sich und blieb oben auf dem Dachboden.
    Am Steg trafen die drei Verschwörer wieder zusammen. Ohne Lärm zu machen, stiegen sie ins Boot, das Jan mit leichten Paddelschlägen auf die Wümme hinaustrieb. Erst hundert Meter weiter stromauf startete er den Motor. Dann ging es in rascher Fahrt durch Nebel und Nacht nach Kuhsiel.
    „Was hast du bloß vor, Onkel Jan?“ fragte Tim.
    Jan Tabak, der trotz der schlechten Sicht dahinfegte, als sei strahlender Sonnenschein, grinste.
    „Was mir mein zweites Gesicht verraten hat, muß doch auch eintreffen“, sagte er. „Hast du vergessen, daß die alkoholische Degeneritis bei Karl Landwehr ans Fenster klopfen wird? Heute abend hört er sie zum erstenmal.“
    Nach zwanzig Minuten Fahrt drosselte Jan den Motor, fuhr nahe ans Ufer und stellte ihn dann ganz ab.
    „So“, sagte er, „das letzte Stück müssen wir paddeln, du an steuerbord, Tim, und ich an backbord. Nicole übernimmt das Ruder.“ Leise tauchten die Paddel ins Wasser, gespenstisch lautlos glitt das Boot dahin. Den Kindern wurde es unheimlich. Ihr verhaltenes Atmen, das sanfte Plätschern des Wassers, der zähe Nebel und ihr rätselhaftes Vorhaben schufen eine geisterhafte Stimmung.
    Plötzlich sprang Jan Tabak ans Land und vertäute das Boot an einem Baum.
    „Kommt“, zischte er, „wir sind da. Jetzt tut ihr genau das, was ich sage, und sprecht kein Wort mehr. Ich habe hier drei Gummiringe, die klebe ich mit einem Klebestreifen straff an Landwehrs Schlafzimmer-, Wohnzimmer- und Küchenfenster. In der Mitte der Gummis ist ein hölzerner Klopfer befestigt, der an die Scheibe trommelt, wenn ich daran ziehe und ihn wieder loslasse. Die Gummis wirken nämlich wie die Sehne eines Flitzebogens. An die Klopfer habe ich Bindfäden gebunden, die ich gleich hinter Landwehrs Johannisbeer- und Stachelbeerbüsche führen werde. Da hockt ihr und achtet darauf, daß sich nichts verheddert. Wenn ich die Gummis angeklebt habe, komme ich zu

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