Jan Tabak geht aufs Ganze
Erdgeschoß einzufinden!“
Aber Jan hörte das nicht mehr. Er guckte sich die Augen aus nach einem Polizisten.
„Wenn man einen braucht, sind sie alle wie weggeblasen!“ schimpfte er leise. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Kind in die Bahnhofstraße zu bringen. Zum Glück war es nicht sehr weit bis dahin.
Als er das Mädchen gerade fragen wollte, ob sie nicht bald da wären, wurde es ihm mit einem Ruck entrissen, und eine junge Frau schrie, erleichtert und wütend zugleich: „Da bist du ja endlich, du Ausreißer! Marsch ins Haus mit dir!“ Dabei warf sie Jan Tabak einen Blick zu, als ob der das Kind hatte entführen wollen. Die Kleine drückte ihr Gesicht gegen das Kleid der Frau.
„Sind Sie die Mutter?“ fragte Jan.
„Natürlich!“ antwortete die Frau gereizt. „Und wer sind Sie?“
„Ich habe Ihre Tochter im Kaufhaus aufgegriffen. Sie hatte sich verlaufen und wollte nach Hause.“
„Soso“, machte die Frau, und Jan merkte, daß sie ihm nicht glaubte. Das empörte ihn.
„Sie dürfen sich ruhig bei mir bedanken“, grollte er. „Das stünde Ihnen besser an als Ihr Mißtrauen. Und nächstens passen Sie besser auf den kleinen Frechdachs auf, sonst könnte es passieren, daß er mal an den Falschen gerät.“
Damit drehte er sich um und marschierte los.
„So eine dumme Pute“, brummelte er grimmig, „nicht aufpassen und dann andere krumm ansehen!“
Im Gehen bedachte er seine Lage.
Was war zu tun?
Das Kaufhaus war inzwischen geschlossen, dahin zurückzugehen hatte also keinen Sinn. Es war wohl das beste, so schnell wie möglich zu den Fahrrädern zu marschieren. Vielleicht traf er seine liebe Familie dort noch an. Aber erst muß ich mir einen genehmigen, dachte er. Die haben jetzt so lange gewartet, da kommt es auf zehn Minuten mehr oder weniger auch nicht an.
Also trank er in einer kleinen Gaststätte ein Bier und einen Korn. Und dann noch einen Korn und ein Bier. Weil der Ärger danach immer noch nicht ganz vergessen war, sah er sich gezwungen, noch ein drittes und viertes Glas zu trinken.
Auf der Straße merkte er dann, daß das wohl ein Glas zuviel war, denn der Gehweg wich ihm aus, verschob sich, stieg an und fiel ab, als wäre er aus weichem Gummi.
„Tina wird natürlich wieder behaupten, ich hätte was getrunken“, murmelte er.
Auf der Bürgerweide stand nur noch sein Fahrrad. Das Rad seiner Frau und das Tandem der Kinder mit dem Anhänger waren verschwunden.
„Das ist vielleicht eine schöne Verwandtschaft“, knurrte Jan. „Und mit sowas lebt man unter einem Dach! Lady, ja, die hätte auf ihren alten Jan Tabak gewartet, die weiß, daß er kein Saufsack ist. Aber das dumme Kalb ist ja zu Hause geblieben. Na, schön, Tina, ich finde den Weg auch allein, das will ich dir mal sagen. Jan Tabak hat noch immer nach Hause gefunden, sogar in Nacht und Nebel, daß du es nur weißt.“
Er ließ den Ständer hochschnellen und wollte gerade aufsteigen, da entdeckte er auf dem Gepäckträger einen Zettel. „Schäm dich, Jan Tabak!“ stand darauf, sonst nichts. Er knüllte ihn wütend zusammen und warf ihn weg.
„Nein!“ sagte er laut. „Jan Tabak braucht sich nicht zu schämen, er hat ein reines Gewissen, ein blütenreines Gewissen hat er. Auch wenn der Schein gegen ihn spricht.“
Zwei größere Mädchen, die über den Platz gingen, stießen sich an und kicherten. Vor der Stadthalle stand ein Polizist und beobachtete ihn. Jan machte eine abwehrende Handbewegung zu ihm hinüber. Langsam schob er das Rad über die Bürgerweide.
„Nimm dich zusammen, Jan Tabak“, ermahnte er sich selbst. „Wenn der Mensch dich für betrunken hält, nimmt er dich mit auf die Wache.“
Aber es gelang ihm, den Platz unbehelligt zu überqueren. Auch in der Eickedorfer Straße sprach ihn kein Polizist an. Es war allerdings auch keiner in der Nähe.
Über eine halbe Stunde marschierte er brav zu Fuß. Erst nachdem er die Bahnlinie überschritten hatte, stieg er auf und radelte. Hier war nur noch wenig Verkehr. Die Stadt endete, das Land begann. Mit eingeschaltetem Scheinwerfer fuhr er in leichtem Zickzackkurs neben der Kleinen Wümme her. Einmal rammte er einen Zaun und einmal eine Hecke. Aber das überstand er ohne Knochenbrüche, und auch das Rad erlitt keinen Schaden.
Nach zehn Uhr abends langte er wohlbehalten zu Hause an.
Dort begann man soeben, sich Sorgen um ihn zu machen. Darum war Tina bei seinem Eintritt im ersten Augenblick dankbar und glücklich. Als jedoch sein
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