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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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für alle Gäste in der Kneipe eine Runde ausgegeben, was?“
    „Nein, Tina, das hab ich nicht“, verteidigte sich Jan. „Ich habe ein kleines verlorengegangenes Mädchen zu seiner Mutter zurückgebracht.“
    Oma Jenny lächelte spöttisch.
    „Das ist aber wirklich eine originelle Ausrede“, bemerkte sie.
    Jan sah sie böse an.
    „Ich lege keinen Wert darauf, daß du mir glaubst, aber was ich gesagt habe, ist die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.“
    Da Tina nun Genaues erfahren wollte, bequemte er sich zu einer Schilderung seines Erlebnisses. Er hielt sich exakt an die Tatsachen, verschwieg nichts und fügte nichts hinzu und konnte seine Frau über-
    Warte, du alter Besen! dachte er. Dir werde ich heute noch eins aufspielen, daß dir dein Mißtrauen in meine Ehrenhaftigkeit ein für allemal vergeht.
    Beim gemeinsamen Mittagessen, als das Taxi längst bestellt und die Fahrt besprochen und geplant war, hielt er den Zeitpunkt seiner Rache für günstig. Bevor er noch seinen großen Teller Erbsensuppe ganz leergegessen hatte, erstarrte er plötzlich in seinen Bewegungen, richtete die Augen gläsern auf die Tür und öffnete ein wenig den Mund, als könne er ihn vor Staunen oder Schreck nicht geschlossen haöten.

    Tina erkannte sofort, daß er wieder ein Gesicht hatte, daß er einen Blick in die Zukunft warf. Vorsichtig stieß sie Jenny an, zischte ihr ein „Psst!“ ins Ohr und wies mit dem Kopf auf ihren Mann. Nicole und Tim wurden ebenfalls auf ihren Onkel aufmerksam. Sie schluckten den letzten Löffel Suppe herunter und schauten Jan Tabaks Kon-taktnahme mit dem Übersinnlichen interessiert zu.
    Der stierte immer noch auf die Tür, als stünden dort die kommenden Ereignisse in großen Buchstaben angeschrieben. Jetzt begannen seine Lippen zu zucken, wisperten, flüsterten, formten Worte. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. Er beugte sich vor und zitterte. „Nein, nein!“ sagte er so laut, daß alle es verstanden. „Das nicht, nur das nicht! Das hat sie nicht verdient!“ Und aufschreiend und jäh erwachend warf er sich zurück, daß die Lehne krachte.
    „Jenny!“ rief er. „Jenny, bleib hier! Bleib bei uns!“
    „Was hat er denn?“ fragte Jenny erschrocken. „Ich bin doch hier. Hörst du mich, Johannes Marwedel? Ich bin hier! Jenny ist hier im Zimmer!“
    Jan Tabak wandte ihr langsam sein Gesicht zu.
    „Jenny“, flüsterte er, „oh, Jenny, versprich mir, daß du heute nicht mehr aus dem Hause gehst, keinen Schritt! Willst du mir das versprechen? Bitte!“
    Es schien, als stünden die schrecklichen Bilder immer noch vor seinem wächsernen Gesicht, denn nun war er der Wirklichkeit wieder entrückt, vergaß, daß Jenny, daß Tina und die Kinder um ihn herum saßen und ihn verstört beobachteten. Leise bewegte er den Kopf hin und her, unmerklich erst, aber bald heftiger, als wollte er eine drohende Gefahr verneinen und dadurch abwehren. Dann ließ er plötzlich den Kopf auf die Arme sinken und schloß die Augen.
    „Er weint“, sagte Jenny tonlos. „Johannes Marwedel weint! Was muß der gesehen haben!!“
    Jetzt hob Jan müde den Kopf, sah Jenny mit unsagbar traurigen Augen an, stand auf und schloß sie in seine Arme.
    „Liebe Jenny“, flüsterte er, „verzeih, daß ich oft so herzlos zu dir war!“
    Jenny war gerührt. Zwei Tränen rollten links und rechts an ihrer scharfen Generalsnase vorbei.
    „Ist schon gut, Jan Tabak“, lispelte sie, „ist schon alles gut.“
    Nicole weinte auch, aus lauter Mitgefühl. Tina hingegen wußte nicht recht, was sie von dem ungewohnten Zärtlichkeitsausbruch ihres Mannes halten sollte. Tim sah auch das Komische der Situation. Ihm waren die Tränen nicht näher als das Lachen. Er wußte, daß sein Onkel ein Schalk war, vor dem man auf der Hut sein mußte. Unversehens machte Jenny sich frei.
    „Sag mir, was du gesehen hast, Jan Tabak!“ rief sie. „Du hast mehrmals meinen Namen genannt. Was war es?“
    „Nein, Jenny, bitte, verlange das nicht!“ bat Jan. „Es ist zu schrecklich.“
    „Ich muß es wissen!“ forderte Jenny. „Sag es mir bitte! Die Ungewißheit kann ich nicht ertragen.“
    Sosehr sich Jan auch wehrte, er mußte schließlich mit der Sprache herausrücken.
    „Wenn du es denn durchaus verlangst“, sagte er, „sollst du es wissen.“ Erwies traurig auf das Fenster und sagte bebend: „Ein schwarzes Auto kommt, du steigst ein, die Kinder mit dir. Ihr fahrt los, erst neben der großen Wümme her, dann neben der kleinen, immer

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