Jan Tabak geht aufs Ganze
Kleidung hätte er sich auch nicht wohlgefühlt. Außerdem schien sie weder zeitgemäß noch praktisch zu sein. Die Jungen, die in Niederblockland wohnten und täglich mit dem Bus in die Schule fuhren, trugen so etwas jedenfalls nicht. „Hör mal, Tim“, sagte er, „Oma Jenny kommt aus der Stadt. Sie weiß nicht so genau, was die Jungs hier tragen. Das darfst du ihr nicht übelnehmen.“
„Und ob ich ihr das übelnehme!“ schrie Tim. „Meinst du, ich laß mich zum Kasper machen? Ich verlange ja auch nicht von ihr, daß sie in einem Minirock durch die Gegend hüpft.“
Jenny schnappte hörbar nach Luft.
„Du bist ein mißratenes Kind“, stieß sie hervor. „Aber merke dir, in diesem Haus bestimmen immer noch die Erwachsenen.“
„Ja ja“, sagte Tim, „wenn du man den ganzen Tag bestimmen kannst,
dann bist du glücklich. Aber mit mir kannst du das nicht machen. Ich latsche nicht in solchen dusseligen Scheißklamotten herum.“
„Tim“, mahnte Tina, „das geht zu weit. Du scheinst nicht zu wissen, daß Oma Jenny den Anzug für dich bezahlt hat. Sie wollte dir doch eine Freude machen, Junge!“
„Quatsch wollte sie. Sie wollte sich ein Denkmal setzen als großzügige Oma. Eine Freude hätte sie uns gemacht, wenn wir uns die Sachen selbst hätten aussuchen dürfen.“
Jan Tabak schielte vorsichtig zu Tim hinüber und warf auch auf Oma Jenny einen raschen Blick. Irgendwie mußte man dem Jungen doch helfen können! Gab es denn keinen Weg? Einer plötzlichen Eingebung folgend, beugte er sich über Tims Hose, während er unauffällig zwei Finger seiner rechten Hand in der Teelache auf dem Tisch badete.
„Ich weiß gar nicht, was du hast“, sagte er, „die Hose ist doch wirklich todschick. Und hellblau ist eine herrliche Farbe. Wie das leuchtet! Das ist doch endlich mal was anderes als das ewige Dunkelblau oder das langweilige Grau. Aber was ist das? Habt ihr den Anzug billiger gekriegt, weil er einen Fehler hat? Hier ist ja ein deutlicher Farbunterschied.“ Und erfaßte mit den nassen Fingern nach Tims Jackenärmel.
Jenny strengte ihre kurzsichtigen Augen an, konnte aber auf die Entfernung nichts erkennen. Darum machte sie sich die Mühe, aufzustehen und um den Tisch herumzugehen.
„Das ist doch nicht möglich!“ rief sie verwundert. „Tina, hast du den Fehler gestern nicht gesehen?“
Tina betrachtete skeptisch den Schaden, sie faßte auch ihren Mann scharf ins Auge, aber der erwiderte den Blick mit der Unschuld eines neugeborenen Kindes.
„Mir ist das gestern nicht aufgefallen“, sagte sie. „Eigenartig, daß man das übersehen kann. Warte, Tim, ich werde mal einen Fleckenentferner holen.“
„Gar nichts wirst du!“ bestimmte Jenny. „Der Anzug wird selbstverständlich umgetauscht. Für gutes Geld kann man auch gute Ware verlangen. Wenn ihr heute mittag aus der Schule kommt, Kinder, fahren wir sofort wieder in die Stadt. Geh rauf, Tim, zieh dir jetzt was anderes an!“
Dazu war der Junge gern bereit. Er verbarg sein Grinsen und stand auf. Nicole aber fühlte sich durch diesen Verlauf der Ereignisse benachteiligt. Schon machte sie den Mund auf, um ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, da spürte sie eine Hand auf ihrem Rücken und fühlte, wie es naß wurde unter dieser Hand.
„Mir scheint, man hat euch mit Ausschuß beliefert“, sagte Jan Tabak, „hier ist ja auch ein Fehler! Seht euch das an, ein langer dunkler Streifen! Da ist bestimmt die Farbe zu dick aufgetragen worden. Ich sag ja, wenn man sich nicht selber um alles kümmert! Ich hätte das sofort gesehen.“
„So, hättest du das!“ bellte Jenny. „Und warum bist du dann weggegangen, statt uns mit deinen scharfen Augen zu dienen? Zieh das Kleid aus, Nicole, das wird auch umgetauscht!“
Das Mädchen schlug lammfromm die Augen auf, blitzte ihrem Onkel einen sekundenlangen Dank zu und enteilte.
Als die Kinder umgezogen und aus dem Haus waren, sagte Jenny: „Ich werde jetzt schon ein Taxi bestellen, im Fahrradanhänger sitze ich kein zweites Mal. Und du, Jan Tabak, kommst nicht wieder mit. Wenn du dich nämlich nicht aus dem Staub gemacht und sinnlos betrunken hättest, brauchten wir diese zweite Fahrt nicht zu machen.“
„Ich habe mich nicht betrunken“, knurrte Jan, „und sinnlos schon gar nicht. Ich habe nur meinen Ärger heruntergespült, weil man mich nach einer guten Tat auf das gemeinste verdächtigt hatte, jawohl!“
„Ach, hör doch auf!“ wehrte Tina ab. „Deine guten Taten kenn ich. Hast wohl wieder
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