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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Alkoholatem auf sie zuwehte und er diesem Atem nur schwankend folgte, verfinsterten sich ihre Züge.
    „Also doch!“ rief sie empört. „O Jan Tabak, ich schäme mich für dich. Wie kannst du den Kindern nur ein so schlechtes Beispiel geben! Mach, daß du ins Bett kommst, ich rede heute abend kein Wort mehr mit dir!“
    „Aber erlaube mal!“ rief Jan entrüstet. „Du weißt ja gar nicht, wo ich gewesen bin und was ich alles erlebt habe!“
    „Das will ich auch nicht wissen“, sagte Tina böse. „Geh ins Bett, du Säufer!“
    Jan wollte schon etwas Heftiges darauf entgegnen, aber dann winkte er bloß mit der Hand ab und torkelte ins Schlafzimmer.
    „Morgen“, nuschelte er beim Ausziehen, „werde ich euch erzählen, wie das Schicksal mich geschüttelt hat. Dann werdet ihr begreifen, daß Jan Tabak ein ehr- und achtbarer Mann ist, ein ganz und gar ehr- und achtbarer Mann!“
    Kaum lag er im Bett, da schlief er schon.
     

Jan guckt wieder in die Zukunft
     
    Am andern Morgen hatte Jan das schlimme Erlebnis fast vergessen. Nach einem tiefen erquickenden Schlaf kam er fröhlich ins Wohnzimmer, begrüßte Lady, die ihm, nach Zärtlichkeit verlangend, in den Weg trat, und rief ein fröhliches „Guten Morgen, Familie!“ den um den Tisch Versammelten zu.
    Aber er fand kein Echo. Sein Ruf verhallte unerwidert. Und da erinnerte er sich!
    Jenny goß mit vornehm abgespreiztem kleinen Finger ihren Tee ein, die Lippen schmal wie ein Strich, und Jan merkte, daß dahinter einige Hundert böse Worte auf ihr Startzeichen warteten. Tina kaute mit hochgezogenen Brauen sehr langsam an einem Graubrottoast, auch das verhieß nichts Gutes. Tim hielt den Kopf gesenkt und rührte so heftig in seinem Tee, daß er überschwappte und die Butter auf seinem Brot zum Schmelzen brachte. Selbst Nicoles Miene spiegelte Empörung.
    „Au Backe“, sagte Jan, „ihr seid ja toll in Stimmung heute morgen. Habt wohl alle schlecht geschlafen, was?“
    Diese Bemerkung reichte aus, um Jennys festverschlossenen Mund aufzubrechen und die erste Woge angestauter Vorwürfe freizugeben. „Schäme dich, Johannes Marwedel“, zischte die Alte, „schäme dich in Grund und Boden! Wenn ich geahnt hätte, daß ich meinen Lebensabend im Hause eines Trunkenboldes beschließen muß, wäre ich zehnmal lieber in ein Altersheim gegangen.“
    Jan setzte sich und nahm sich eine Scheibe Brot.
    „Übertreib nicht“, sagte er ruhig. „Trunkenbold ist zu hoch gegriffen. Was meinst du, Tina?“
    Aber bei der fand er keine Unterstützung. Im Gegenteil! „Trunkenbold ist ein viel zu schwaches Wort für dich!“ blaffte sie zurück. „Du treibst dich herum und überläßt mir die unangenehmen Dinge des Lebens. Was sollen die Kinder von dir denken!“
    „Frag sie doch mal!“ riet Jan gelassen, denn er war sicher, daß die auf seiner Seite standen.
    Er täuschte sich jedoch. Auch das junge Volk stellte sich gegen ihn. „Es war nicht nett von dir, Onkel Jan, daß du uns im Kaufhaus allein gelassen hast“, sagte Nicole. „Guck dir an, was Tante Jenny für mich ausgesucht hat! Mit diesem unmöglichen Kleid soll ich heute in die Schule.“
    „Schweig!“ sagte Jenny streng. „Das Kleid ist hübsch und praktisch.“
    „Hübsch und praktisch?“ rief Nicole böse. „Ich sehe darin aus wie eine Vogelscheuche.“
    „Unsinn“, sagte Jenny, „du verstehst noch nichts von Kleidern.“
    „Eine ganze Menge verstehe ich davon!“ rief Nicole. „Ich weiß jetzt schon, daß mich die Kinder in der Schule auslachen werden.“
    „Wer dich auslacht, ist dumm!“ bestimmte Jenny.
    „Ein schöner Trost“, heulte Nicole und kämpfte mit den Tränen.
    Jan setzte die Tasse nieder und betrachtete das Kleid. Er kannte sich zwar nicht aus in dieser Materie, glaubte aber, daß zu der Zeit, als er zur Schule ging, die Mädchen Ähnliches trugen. War das nicht inzwischen unmodern geworden? Bevor er sich auf diese Frage eine Antwort geben konnte, platzte Tim mit seiner Wut heraus.
    „Hast du schon mal einen Jungen gesehen, der in einem Anzug in die Jugendherberge fährt?“ rief er. „ln einem richtigen spießigen Anzug? Und der dazu ein Oberhemd trägt und einen Schlips? Ja, schau mich nur an, du wirst es nicht für möglich halten, ich bin so einer! Findest du mich nicht umwerfend elegant? Ich könnte doch direkt aus einer Modezeitschrift entsprungen sein, nicht?“
    Jan sah ihn an. Tatsächlich, der Junge sah geschniegelt und gebügelt aus wie ein junger Modegeck. In so feiner

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