Jan Tabak geht aufs Ganze
verlorengegangen war, ein gutes Dutzend Nüsse aufgehackt, das Fruchtfleisch zerkleinert und uns in den Mund geschoben hatte, kamen wir langsam wieder zu Kräften.“
„Wieso hatten Sie als Seemann ein Haumesser?“ fragte Nicole. „Was macht man damit an Bord?“
„Nichts, mein Deern, nichts“, erklärte Jan. „Jochen hatte es in Lima bei einem Indio gegen seine alte Taschenuhr eingetauscht, um es als Andenken mit nach Hause zu nehmen. Weißt du noch, Jochen, wie der immerzu grinsende Kerl feilschte? Dein Feuerzeug wollte er unbedingt noch dazuhaben.“
„Ja“, bestätigte Jochen lächelnd, „das kriegte er jedoch nicht, der alte Gauner. Aber wie gut, daß ich den Tausch dennoch zuwegebrachte! Ohne das Messer hätten wir möglicherweise nicht überlebt auf der Kokosinsel.“
„Möglicherweise sagst du?“ unterbrach Jan. „Daran gibt es gar keinen Zweifel! Nur mit Hilfe deines Messers konnten wir das Fleisch aus den Steinschalen lösen. Mit meinem Tomahawk, dem Geschenk des Irokesenhäuptlings „Zischende Otter“, du erinnerst dich, war das viel zu umständlich. Damit konnten wir zwar die gröberen Arbeiten verrichten, Palmen fällen und zurechthacken zum Beispiel, aber für das Feine waren wir ganz und gar auf dein Hackmesser angewiesen.“
„Warum habt ihr denn Palmen gefällt?“ fragte Tim.
„Um uns ein Haus zu bauen“, erklärte Jochen. „Nicht, daß es unbedingt nötig gewesen wäre, auf den Inseln herrscht ja ewiger Sommer, aber als Europäer fühlt man sich doch nur wohl und geborgen, wenn man ein Dach über dem Kopf hat.“
Er trank sein Glas leer und schüttelte sich.
„Tja“, fuhr er dann sinnend fort, „in den ersten Tagen dachten wir ja noch, daß uns jeden Augenblick jemand abholen komme. Darum saßen wir nur am Strand herum, freuten uns über die zauberhaft bunten Korallen und hielten Ausschau nach vorbeifahrenden Schiffen. Wir sahen auch eine ganze Menge, schnittige schneeweiße Luxusjachten und plumpe Ozeanriesen, die das von den größeren Nachbarinseln holten und nach Europa verfrachteten, wovon auch wir lebten: Kokosnüsse; aber von keinem wurden wir bemerkt. Dabei winkten und schrien wir, hängten unsere Hemden in die höchste Palme und machten sogar ein Feuer an: die Schiffe zogen vorbei, schön und erhaben, und keines ging an unserer Küste vor Anker.“
„Ja“, spann Jan den Faden gemeinsamer Erinnerungen weiter, „das traf uns hart, denn wir konnten uns nicht mit dem Gedanken befreunden, für längere Zeit auf der Insel bleiben zu müssen. Erst nach sieben oder acht Tagen ergaben wir uns in unser Schicksal und machten das beste daraus. Wir fällten einige Palmen, zerlegten sie in etwa zwei Meter langes Bauholz und errichteten eine Hütte, eine Art Bungalow, ebenerdig und ohne ausgebautes Dachgeschoß, alles ohne einen einzigen Nagel. Die Balken wurden einfach mit Kokosfasern zusammengebunden. Aus den Palmwedeln flochten wir die Wände, und auch das Dach deckten wir damit. Natürlich dienten sie uns ebenfalls zur Herstellung von Möbeln. Ihr glaubt ja gar nicht, wie herrlich man in einem aus Palmzweigen geflochtenen Bett schläft, was, Jochen?“
„Das ist wahr“, erzählte der nun, „ein Bett aus Palmwedeln ist geradezu eine Luxusliege. Auch Palmwedelstühle sind sehr bequem, und ein Palmwedeltisch hat den Vorteil, daß nichts herunterrollen kann, weil er nach der Mitte zu stets ein wenig durchhängt. Die Wohnung konnte also gar nicht besser sein und genügte voll und ganz unseren Ansprüchen. Kleidungssorgen hatten wir ebenfalls nicht. Wir trugen unsere Hosen, bis sie uns vom Körper fielen, und dann einen Lendenschurz aus Palmblättern. Schwieriger war es mit unserer Ernährung.“
„Genau“, sagte Jan. „Wir brauchten zwar nicht zu hungern, dafür gab es zu viele Kokosnüsse auf der Insel, aber die einseitige Kost schmeckte uns schon nach dem fünften Tag nicht mehr. Kokosnußfleisch frisch oder getrocknet, in Scheiben oder Würfeln, gekocht, gebraten oder geraspelt, das gab doch immer einen ähnlichen Geschmack. Wir hatten ein unbändiges Verlangen nach etwas völlig Andersartigem. Da knabberte ich in meiner Gier nach Vitaminen eines Tages an den Blütenknospen der Palmen herum, und siehe, die schmeckten wunderbar. Sofort nahmen wir das Salz, das wir durch Verdunstung aus dem Meerwasser gewonnen hatten, streuten es auf die Knospen, träufelten Palmöl darüber und erhielten so einen erfrischenden und belebenden Salat. Mein Gott, nie wieder habe ich
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