Jan Tabak geht aufs Ganze
verarzten, sie haben sich beide im Schilf verletzt.“
„Dann bleiben sie heute nacht hier!“ befahl Waltraud. „In meiner Hausapotheke habe ich Pflaster und Salben genug. Und du nimmst jetzt ein Bad, ruhst dich ein wenig aus von der Hetzerei und bist zum Abendbrot wieder fit. Kommt ins Haus, Kinder, los! Du auch, Teo!“
Der geplagte Vater war im Grunde froh darüber, daß er mit seiner klebrigen Hose und den nassen Jungen nicht in die leere Wohnung fahren mußte. Er ließ sich gern von seiner freundlichen Schwägerin ein bißchen bemuttern. Also folgte er ihr ohne Gegenwehr. Jochen, Jan, Tim und Nicole blieben allein auf der Terrasse zurück.
Lady war mit ins Haus gezottelt, um in der Nähe der übermütigen Zwillinge zu sein.
„Tja“, sagte Jochen, „nun sind wir wieder unter uns. Ist ja kein Wunder, daß die beiden so wild sind! Andere Kinder strecken ihre Füße unter den gedeckten Tisch, wenn sie aus der Schule kommen, und werden von ihrer Mutter umsorgt, aber sie müssen sich das Essen wärmen und sind dann ganz auf sich selbst gestellt, bis ihr Vater am Abend nach Hause kommt. Das ist einfach zuviel für sie. Sie sind nämlich sonst ganz in Ordnung. Guckt euch doch mal an, was sie da an das Fenster gehängt haben, als Geburtstagsgeschenk für mich.“ Jetzt erst entdeckten Jan und die Kinder zwei Masken, rot und weiß bemalt.
„Die haben sie selbst gebastelt“, erklärte Jochen, „aus Kokosnüssen. Sie sollen das Böse vom Haus fernhalten und Glück bringen.“
„Ein tolles Stück Arbeit“, stellte Tim bewundernd fest. „Die sehen wirklich ganz abscheulich aus. Was man aus Kokosnüssen nicht alles machen kann!“
„Wenn du das man weißt“, bestätigte Jan. „Davon können wir ein Lied singen, was, Jochen?“
„Und ob“, rief der. „Ein langes Lied können wir davon singen, ein kilometerlanges. Fang an, Jan, sing die erste Strophe, damit du mich einstimmst!“
Und Jan begann.
„Ihr wißt doch“, sagte er, „daß es in der Südsee sehr viele Inseln gibt?“
„Natürlich!“ rief Tim. „Polynesien heißt ja nichts anderes als Vielinselgebiet.“
„Jawohl“, sagte Jan, „und von diesen vielen Inseln sind die meisten winzig klein, so wie ein Bauernhof oder noch kleiner.“
„Weiß ich“, sagte Tim, „haben wir in Erdkunde gerade durchgenommen. Das sind Koralleninseln, und mit unterseeischen Vulkanen hat das auch was zu tun. Meistens wachsen Kokospalmen drauf.“
„Richtig!“ rief Jan. „Ich freue mich, daß du so gut im Bilde bist. Auf solch eine Insel wurden Jochen und ich im Jahre 1922 verschlagen, schiffbrüchig, wie das in der Südsee ja üblich ist. Elf Monate lang mußten wir von und mit Kokosnüssen leben. Junge, war das eine Zeit!“
„In der Tat“, setzte Jochen das Lied mit der zweiten Strophe fort.
„Einerseits war es da herrlich, die milde Luft, das ewig blaue Meer, die sternklaren Nächte - andererseits war es auch furchtbar, weil wir alles und jedes von und mit Kokosnüssen machen mußten. Es gab nämlich nichts anderes auf der Insel als einen kleinen Wald, einen Hain, mit Kokospalmen. Keine Ananas, keine Bananen oder Apfelsinen, überhaupt keine andere Frucht als die Kokosnuß.“
„Natürlich fehlten auch Kühe und Schweine, die man hätte melken oder schlachten können“, fiel Jan ein. „Fast ein ganzes Jahr lang haben wir nichts anderes gegessen als Kokosnüsse und nichts anderes getrunken als Kokosmilch.“
„Hm, die mag ich gern!“ schwärmte Nicole. „Die ist nicht süß und nicht sauer, irgendwie so in der Mitte dazwischen.“
„O uns schmeckte sie auch“, rief Jan, „jedenfalls in der ersten Zeit. Ja, als wir, in unseren Rettungsringen hängend, nach vier Tagen Hunger und Durst und Angst im unendlichen Pazifik auf der Insel landeten, schien sie uns ein Geschenk des Himmels zu sein, ein Lebenselixier. Und zweifellos verdankten wir ihr, daß wir nicht starben, denn erschöpft, wie wir waren, hätten wir gar keine andere Nahrung auf nehmen können. So aber tranken wir gierig, fielen unter den Palmen nieder und schliefen uns gesund.“
„Sachte, sachte“, hakte Jochen ein, „gesund machten uns die erste Nuß und der zwanzig Stunden dauernde Schlaf noch nicht. Erinnere dich nur, wie schwach wir nach dem Erwachen waren! Wie mühsam wir uns vollends in den Palmenhain schleppten, um ganz in der Nähe der Energiequellen zu sein! Erst als ich mit meinem Haumesser, das mir glücklicherweise bei dem Schiffbruch nicht
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