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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Kind!“ Da lag sie auch schon im Schnee und mußte sich von dem Mädchen auf die Beine helfen lassen.
    „Diese Glätte ist ja lebensgefährlich“, stöhnte sie. „Gib mir mal deine Hand, ich kann überhaupt nichts sehen.“
    Zweimal stieß Jenny mit dem Knie an ein Auto, dann hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt.
    An der Straße trafen sie Tim, der von Jan Tabak beauftragt war, hier zu warten, bis Berta komme. Sie sei in Richtung Lilienthal gelaufen, und Jan versuche, sie in einem weiten Bogen zu umgehen und zurückzutreiben.
    „Ein guter Plan“, sagte Jenny, „aber auf zwei Personen abgestimmt. Jetzt sind wir vier, da müssen wir ihn ändern. Geh du von der andern Seite um Berta herum, Tim, und du, Nicole, laufe Onkel Jan nach, er kann in seinem Alter nicht mehr so schnell. Ich bleibe hier und halte Berta fest, wenn ihr sie mir zutreibt.“
    „Hoffentlich mutest du dir da nicht zuviel zu, Oma Jenny“, sagte Tim grinsend. „Aber mir soll es egal sein. Ich bewege mich gern ein bißchen, meine Füße sind sowieso schon eiskalt.“
    Und schon liefen die Kinder davon.
    Jenny suchte sich einen rutschsicheren Stand auf der Straße und wartete, Augen und Ohren weit geöffnet.
    Es dauerte gar nicht lange, bis sie erste Kampfgeräusche vernahm: ein verhaltenes Wiehern, laufende Schritte auf harter Schneedecke und einzelne Verständigungsrufe von Flanke zu Flanke. Aber das war nur das Vorgeplänkel. Ein wahrer Schlachtenlärm erhob sich wenige Minuten später. Da mischten sich Jans dunkle, Nicoles helle und Tims heisere Stimme mit Bertas wütendem Gewieher zu einer ohrenbetäubenden Fanfare. Und dann preschte es heran, galoppierte, donnerte, raste, flog und nahm Kurs auf Jenny, die sich auf dem gefrorenen Schnee kaum so auf den Beinen halten konnte. Sie sah den schwarzen Schatten auf sich zujagen und änderte den Plan ein zweites Mal. Ein müdes, trauriges Pferd hatte sie erwartet, das die Nähe freundlicher Menschen sucht. Auf eine zornige Bestie war sie nicht vorbereitet. Statt dem Tier den Weg zu verstellen, es am Zügel, am Schwanz oder sonstwo zu halten, floh sie kreischend aus der Kampfbahn. Berta schoß an ihr vorüber, daß sie den Zugwind im Gesicht spürte.

    Eine ganze Weile später wuchsen die Verfolger aus Schnee und Nacht. Keuchend und nach Atem ringend hielten sie an und bemühten sich sofort um Jenny, von der sie annahmen, sie sei von Berta niedergestampft worden, weil sie den Heiligen Abend mit einem so kläglichen Gewimmer erfüllte. Aber die alte Dame war völlig unversehrt. Sie steckte bis zum Hals im tiefen Schnee eines Grabens, warm und weich, und hatte nichts auszustehen. Als man sie mit vereinten Kräften wieder auf die Straße gezogen hatte, sagte Jan, es habe keinen Zweck, das ungebärdige Tier weiterzusuchen. Das sei viel zu schnell und zu schlau.
    „Wir machen uns zu Fuß auf den Heimweg. Du, Oma Jenny, setzt dich in den Schlitten, und wir ziehen dich.“
    „Das kann ich nicht annehmen“, wandte Jenny zaghaft ein, war aber doch froh, sich in warme Decken hüllen und die weiteren Ereignisse von einem sicheren Sitzplatz aus verfolgen zu können. Sie machte sich nicht klar, daß ein Schlitten ein Fahrzeug ist, und daß Fahrzeuge erst dann ihren Insassen restlose Sicherheit bieten, wenn sie in der Garage oder im Schuppen stehen. Darum stieg sie arglos ein und sagte: „Hüh!“
    Jan stellte sich zwischen die Einspännerdeichsel, die beiden Kinder hinter den Schlitten, und los ging die Fahrt. Sie brachten das Gefährt nur mühsam in Gang, weil es angefroren war, aber schon nach den ersten Schritten glitt es leicht und eilig dahin, da es ja kaum Gewicht trug. Mit zunehmender Geschwindigkeit erhitzte sich Jan, fing an zu dampfen und blies bald seinen warmen Atem, wie vorher Berta, sichtbar in die frostkalte Luft.
    Jenny fand die Fahrt recht vergnüglich. Das Knirschen der Kufen, das Läuten der Glocke und das Getrappel der Füße tönten angenehm in ihre Ohren.
    Die Kinder hinten fanden bald heraus, daß die Sache kurzweiliger wurde, wenn sie den Schlitten in Schwung brachten und sich dann, auf den Kufen stehend, ein Stück mitgleiten ließen. Für Jan war das allerdings nicht ganz ungefährlich. Er brauchte zwar nicht mehr zu ziehen, mußte aber dauernd auf der Flucht sein vor dem hölzernen Ungetüm hinter ihm. Und das im Dunkeln, wo nicht einmal eine Katze mit ihren Glühaugen mögliche Unebenheiten auf der Straße erkannt hätte. So war es kein Wunder, daß er plötzlich aus

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