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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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als es über die Wümmebrücke ging, nahm Jan sie sicherheitshalber in die Hand. Auf der anderen Seite des Flusses, hinterm Deich, durften die Kinder wieder kutschieren.
    Hier lag der Schnee kniehoch, und an einigen Stellen, wo er zusammengeweht war, reichte er dem kleinen Pferd fast bis an den Bauch. Aber Berta stapfte unverdrossen weiter, warf den Kopf, daß die Schellen klingelten, und blies pausenlos Dampfwolken vor sich hin. Als sie in Höftdeich abbogen, den Fluß hinter sich ließen und in den roten Abendhimmel hineinfuhren, auf die Kirche zu, die halbdunkel mitten in dem Leuchten stand, wurde ihnen weihnachtlich zumute. Sie sprachen kein Wort mehr, saßen stumm und waren froh.
    An der Kirche parkten einige Autos. Vereinzelte Fußgänger kamen von der Lilienthaler Straße herüber, ein Mann mit einer schwarzen Pelzmütze zog zwei Kinder auf einem Schlitten.
    „Seht ihr da die eisernen Ringe an der Kirchhofmauer?“ fragte Jan. „Daran machten die Bauern früher ihre Boote fest, denn das Land hier war im Winter monatelang überschwemmt, dann stand die Kirche mitten im Wasser. Wir werden jetzt Berta daran anbinden.“
    Das Pony schnaubte, scharrte mit dem Fuß, schüttelte die Mähne, daß die Glocken jauchzten, und dampfte von Kopf bis Schwanz. Nicole klopfte ihm den Hals und gab ihm ein paar Stücke Zucker. Jan spannte es aus, steckte die Zügel durch einen der Ringe und schlang einen leichten Knoten hinein.
    Dann gingen sie gemeinsam in die Kirche.
    Die Orgel spielte bereits leise. Vorn prangte ein Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen. Die wenigen Besucher saßen einzeln oder in kleinen Gruppen in den Bänken.
    Jenny, Jan und die Kinder fanden unter der Empore Platz.
    Der Gottesdienst begann.
    Draußen wurde es vollends dunkel.
    Nachdem die Gemeinde gesungen und gebetet hatte, stieg Pastor Schulz auf die Kanzel, um die Weihnachtsgeschichte zu verlesen. Da hörten die Andächtigen ein Schurren und Stampfen vom Eingang her. Aber niemand maß dem irgendeine Bedeutung zu. Warum sollte vor der Kirche kein Geräusch sein, wenn drinnen der Gottesdienst war? Vielleicht kam da noch ein verspäteter Kirchgänger.
    Es blieb jedoch nicht bei dem Schurren und Stampfen. Als der Pastor die Bibel aufgeschlagen hatte und in feierlichem Tonfall sagte: „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzet würde“, da klopfte es mehrmals an die hölzerne Tür. Der Pastor hob erstaunt den Kopf und hielt inne. Die Leute sahen sich um. Man klopft doch nicht an, wenn man eine Kirche betritt!
    Nun war wieder Stille.
    Der Pastor fuhr fort: „Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war.“ In diesem Moment klopfte es wieder, aber heftiger als das erstemal, und dann öffnete sich die Tür und ein Pferd steckte seinen braunen Kopf herein, schnaubte, läutete mit feinen Glöckchen, die an seinem Hals hingen, und wieherte laut und dringend über die Köpfe der zum Gottesdienst Versammelten hinweg. Es war Berta, die gekommen war, um nachzusehen, was da in dem hohen weißen Haus mit dem Turm über dem Eingang geschah. Musik und Gesang hatten sie verlockt, ihren einsamen Platz an der Friedhofsmauer zu verlassen. Mit den Autos vor und hinter ihr war ja kein vernünftiges Gespräch zu führen. „Der dösige Gaul!“ flüsterte Jan. „Wie hat der sich denn losgemacht?“ Er erhob sich und zwängte sich an Jenny vorbei auf den Gang zwischen den Bänken.
    „Berta“, zischte er, „bist du verrückt?“ Er wollte das Pferd an der Nase anfassen und zurückschieben. Das war aber nicht nach Bertas Sinn. Sie stieß ihm ihre Schnauze ins Gesicht und zeigte beißlustig ihre gelben Zähne. Jan wich hastig aus.
    „Berta“, beschwor er sie, „du scheinst nicht zu wissen, wo du hier bist! Mach, daß du rauskommst!“
    Diese unfreundliche Rede beantwortete Berta mit einem zweiten Wiehern und trottete dann in ihrer ganzen zwergenhaften Schönheit in das Kircheninnere hinein.
    Die Leute grinsten, Pastor Schulz wartete ab.
    Jan war in größter Verlegenheit.
    „Berta“, flehte er, „mein liebes, gutes Tierchen, sei brav und geh nach draußen!“
    Aber das war für das liebe, gute Tierchen, selbst wenn es gewollt hätte, gar nicht so einfach, denn dazu hätte es sich umdrehen oder rückwärts gehen müssen. Zum Umdrehen reichte jedoch der schmale Gang zwischen den Bänken nicht aus, und vorm Rückwärtsgehen scheute es sich, vielleicht

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