Jan Tabak geht aufs Ganze
überrascht. „Soll das wieder einer deiner bekannten Scherze sein?“
Die Kinder aber sausten unverzüglich hinaus, als könnten sie zu spät kommen.
Staunend standen bald alle vor dem Schlitten und dem festlich geputzten kleinen Pferd.
„Das ist ja ein Pony!“ rief Nicole strahlend. „Wie heißt es denn?“ Da wußte Jan wieder, was er zu fragen vergessen hatte.
„Wie es heißt?“ wiederholte er gedehnt. „Du, das weiß ich gar nicht. Aber ihr könnt ihm ja einen Namen zu Weihnachten schenken, wenn ihr mögt. Das wird ihm bestimmt recht sein.“
„Machen wir!“ sagte Tim. „Ich hab schon einen. Wie wär’s mit Brauni? Weil es doch ein braunes Fell hat.“
Nicole schüttelte den Kopf.
„Das ist phantasielos“, sagte sie. „Nein, es muß einen besonderen Namen haben, weil es an einem besonderen Tag besondere Leute in eine besondere Kirche fahren darf. Ich schlage Rüdiger vor.“
„Das Pferd ist eine Dame“, gab Jan zu bedenken.
„Wennschon“, entgegnete Nicole, „Pferd ist Pferd. Aber wenn euch der Name nicht gefällt, nennen wir es doch Christine.“
Tim tippte sich an den Kopf.
„Christine ist doch kein Pferdename“, sagte er.
Da mischte sich Oma Jenny in die Beratung.
„Die Pferde, die die großen Rennen laufen, haben immer ganz eigenartige Namen“, ließ sie sich vernehmen. „Die heißen Eckstein und Windsbraut und Lady Hamilton oder so ähnlich. Wäre das nicht was für unser Pony?“
„Aber Oma Jenny“, widersprach Tim, „du kannst doch dieser Miniausgabe eines Pferdes nicht einen so großen Namen geben!“ Tina, die sich bisher schweigend verhalten hatte, ging nun um das Tier herum und betrachtete es von hinten.
„Berta“, sagte sie. „Der einzige Name, der zu ihr paßt, ist Berta. Guckt doch nur mal, wie mollig sie ist und was für einen breiten Hintern sie hat für ihre Größe. Darum kann sie nur Berta heißen.“ Und dabei blieb es.
Eine halbe Stunde später bestiegen Jenny, Jan und die Kinder den Schlitten. Tina wollte zu Hause bleiben, erstens, weil sie noch einiges vorzubereiten hätte, und zweitens, weil ja einer bei dem Hund sein müsse.
Die Kirchgänger hatten sich warm angezogen und dicke Wolldecken umgelegt. In Nicoles Manteltasche steckte ein halbes Pfund Würfelzucker. Die ganz besondere Fahrt zu der ganz besonderen Kirche konnte beginnen.
„Hüh!“ sagte Jan und schnalzte mit der Zunge. Berta schnaubte, kratzte mit dem linken Vorderhuf und schaute sich fragend um. „Hiih, mein Pferdchen!“ rief Jan noch einmal. „Los geht’s!“ Da ruckte das kleine Tier an und setzte munter einen seiner kleinen Hufe vor den andern. Willig ließ es sich aus dem Hof und auf den Deich lenken. Die Glocke am Schlitten und die Schellen an seinem Hals begannen ihr helles Geläute.
„Tschüs, Tina!“ rief Jan zurück. „Schade, daß du nicht mitkommst. So etwas wird dir nie wieder geboten.“
Das war ein prophetisches Wort. Was die vier Schlittenfahrer auf dieser Fahrt erlebten, vergaßen sie nicht, so alt sie auch wurden.
Das Pony zog den Schlitten auf der glatten Fahrbahn mühelos dahin. Es schien selbst Freude an dem beschaulichen Ausflug zu haben, denn es schnaubte von Zeit zu Zeit und wieherte sogar einmal laut und übermütig. Und seinen warmen Atem blies es tatsächlich, wie Jan vorausgesehen hatte, sichtbar in die frostkalte Luft.
Oma Jenny lächelte glücklich. Sie fühlte sich an ihre Kinderzeit erinnert. Da war sie auch einmal mit einem Pferdeschlitten gefahren, nicht zur Kirche, nein, und es war auch nicht am Heiligen Abend, sondern an einem gewöhnlichen Wochentag im Januar, aber die Stimmung damals war genauso gewesen: die Glocken, der zuckrige Schnee auf den Zweigen, das Knirschen der Schlittenkufen und die geröteten Gesichter der Mitfahrenden.
Auch Nicole und Tim hatten jetzt rote Gesichter, vor Freude und Kälte gleichermaßen. In Jan Tabaks verwitterter Gesichtslandschaft war nur die Nase rot, und daran war außer Kälte und Freude bestimmt auch noch etwas anderes schuld. Aber in dieser schönen Stunde liebte Jenny den Mann selbst mit roter Nase. Er trinkt, dachte sie, jawohl, aber er ist ein guter Mensch. Macht er mir auf meine alten Tage doch so eine herrliche Schlittenfahrt zum Geschenk! Ich hätte ihm zum Fest außer den Filzhausschuhen auch noch eine Flasche Rum mitbringen sollen. Aber konnte ich das wissen? Na ja, ich kann ihm zu Silvester ja noch eine kaufen. Verdient hat er es. Nicole und Tim hielten abwechselnd die Zügel. Nur
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