Jan Weiler Antonio im Wunderland
kaf-
Ton der Welt ist das Geräusch, mit welchem die Kultursendung «Aspekte»
im Zweiten Deutschen Fernsehen ihre Beiträge voneinander trennt. Er klingt wie eine Mischung aus einem homosexuellen Kuckuck und einer Luftschutzsirene. Unerträglich. Ich sehe diese Sendung nur, um zu prüfen, ob dieser Gruselsound immer noch da ist. Womöglich machen das alle anderen Zuschauer auch so, denn die Konträrfaszination dieses U-hu-hu-huuus ist enorm. Ein ebenfalls sehr schlimmes Geräusch: rappende Kinder im Werbefernsehen.
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kaesk, ganz besonders im Gesundheitswesen. Da Raffáele aus Querulantentum und Langeweile ohnehin dauernd Bauanträ-
ge für fiktive Bürohäuser stellt und die Beamten mit konfusen Eingaben nervt, war es für ihn nur ein kleiner Schritt, dies sozusagen in den Adelsstand eines Berufes zu heben. Und da ist er nicht der Einzige. In Campobasso hat er fünf Kollegen, die mehr oder weniger regelmäßig vor dem Amt aufkreuzen und Mitbürgern ihre Dienste anbieten. Viele von denen haben es längst aufgegeben, die verschiedenfarbigen Bögen selber auszufüllen: ein einziger kleiner Fehler, und man steht wieder am Ende der Schlange. Andere haben keine Zeit zu verlieren. Wer kann es sich schon leisten, seine Schreinerei für einen halben Tag zu schließen, bloß um ein neues Gebiss für seine Mutter zu beantragen? Also erledigt Raffáele dies nach einem kurzen Briefing. Er und seine Leute sind ein regelrechtes Kompetenz-team, nur selten geht etwas schief. Im Falle der neuen Zähne für die Schreiner-Oma beantragte er einen Unterkiefer, obwohl ein Oberkiefer benötigt wurde, und fand die Kritik daran kleinlich. «Zähne sind Zähne. Wenn sie nicht passen, verkauf sie doch weiter. Kannst froh sein, dass ich dir überhaupt geholfen habe», beschimpfte er seinen Kunden, der ihn aber trotzdem nicht bezahlte.
Sein Geschäft ist recht einträglich. Komplexe Sachverhalte, für die man lange anstehen muss oder häufiger an verschiede-nen Schaltern oder Zimmern, kommen nicht selten auf zwanzig oder dreißig Euro. Gibt es hingegen nur etwas abzugeben, ist der Schwierigkeitsgrad also niedrig 1 , muss sich Raffáele mit fünf Euro begnügen. Macht aber nichts, denn das Schöne 1
In
Managerkreisen
sagt
man
dazu
interessanterweise
«low key». Meine Lieblingsmanagerbegriffe: Meint jemand, eine Ver-tragsverhandlung
oder
ein
Geschäftsabschluss
sei
schwierig
zu erreichen, so nennt er das einen «uphill fight». Das Gegenteil, einen 87
1 an dieser Beschäftigung ist ja, dass man gebraucht wird –
und interessante Details seiner Mitbürger erfährt, die man anschließend erzählen kann.
Seit vier Tagen sind wir nun in Campobasso, und heute hat das Warten ein Ende, denn heute beginnen in Italien die Ferien. Das bedeutet, dass alle Binnenbewohner des Landes gleichzeitig ans Meer fahren. Wir werden vier bis fünf Autos bis unters Dach mit Menschen zwischen vier Monaten und 86 Jahren sowie mit derem Gepäck befüllen, bis die Autos pickepackevoll sind und aussehen wie Gläser mit Sülze. Anschließend wird die Hälfte wieder aussteigen, weil sie noch was vergessen hat. Dann wieder rein. Und raus. So geht das ein Weilchen, bis Onkel Raffaele der Kragen platzt und er einfach aufbricht. Die anderen werden eingeschüchtert hinterher-fahren, und mindestens ein Auto kehrt nach zwanzig Minuten zurück, um die Nonna einzuladen, die in den Urlaubswirren am Straßenrand vergessen wurde. Früher hatte ich immer Angst vor diesem Chaos, inzwischen freue ich mich auf dieses Ritual. Am späten Nachmittag soll es losgehen.
Am Vormittag kommt Saras Cousin Marco vorbei. Mit ihm verbindet mich seit Jahren so etwas wie eine Freundschaft.
Nach heftigen Umarmungen und brüderlichen Küssen fasst er die Ereignisse des letzten halben Jahres zusammen und ruft dann seinen Freund Fabio an. Die beiden sprechen so sieben-oder achtmal pro Tag miteinander. Wenn sie das nicht machen, müssen sie sterben. Er erreicht ihn auf Sardinien. Fabio leicht zu erreichenden Erfolg, bezeichnet man gerne als «low hanging fruit», was im E-Mail-Briefverkehr natürlich mit LHF abgekürzt werden muss. Die assoziative Nähe dieser Formulierung zu «Affenhaus» kann einem nicht verborgen bleiben.
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schwärmt offenbar ein wenig vom Strand und den hübschen Frauen, Marco berichtet, dass ich da sei. Dann beenden sie ihr Gespräch.
«Fabio ist auf Sardinien?»
«Quatsch, der ist zu Hause in seinem Wohnzimmer. »
Das verstehe ich nicht. Wie kann der Bursche
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