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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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gleichzeitig auf Sardinien und zu Hause sein? Marco erklärt mir, dass Fabio sich gar keinen Urlaub leisten könne. Er arbeitet in der Casa Circondariale di Larino. Hinter diesem malerischen Begriff verbirgt sich das Gefängnis außerhalb von Campobasso. Man fährt manchmal daran vorbei. Es ist ein riesiger Komplex mitten im Nirgendwo. An den Fenstern hängen die Insassen ihre Handtücher auf, das sind die einzigen Farbtup-fer auf dem ansonsten grauen Bau. Fabio ist dort Koch. Kein toller Job, aber immerhin. Jedenfalls reicht es nicht, um am sardischen Strand zwei Wochen lang einen auf dicke Hose zu machen.
    «Du meinst, er tut nur so, als sei er in Urlaub, und in Wirklichkeit ist er zwei Wochen in seiner Wohnung?»
    «So ist es.»
    Dann erklärt Marco mir, dass Fabios Art des Sommerur-laubs in Italien überhaupt nicht ungewöhnlich sei. Wenn man ihm glauben darf, gibt es besonders in den Großstädten viele Singles, die vorgeben, in die Ferien zu fahren, aber in Wahrheit zu Hause bleiben. Sie kaufen für zwei Wochen ein, klappen die Fensterläden zu und tauchen unter. Auf diese Weise entgeht ihnen nicht nur der Sonnenschein in Sardinien, sondern auch der in ihrem Heimatort.
    Wenn sie zu Hause angerufen werden, gehen diese Ferien-simulanten nicht dran. Klingelt hingegen das Handy, beschrei-ben sie ausführlich den Seeblick, den sie gerade nicht haben.
    Manche überzeugen sich selbst von ihren eigenen Schilderun-89
    gen, sodass sie, wenn sie nach vierzehn Tagen wieder aus dem Haus gehen, sagenhaft erholt wirken und es auch tatsächlich sind. Ich finde das deprimierend. Marco klärt mich darüber auf, dass es für die Betroffenen noch viel deprimierender sei, in den Ferien alleine durch die Straßen zu laufen wie Bettler.
    Da ziehen sie sich lieber zurück.
    Natürlich weiß man als Freund oder Nachbar ganz genau, wenn einer nicht in die Ferien gefahren ist. Aber man würde nie vorbeigehen und klingeln oder anrufen und sagen: «Hey Kumpel, ich weiß, dass du da bist.» Dabei würde der Zuhausebleiber das Gesicht verlieren. Also telefonieren Marco und Fabio ständig, und Fabio sagt, dass er einen Sonnenbrand oder ein nettes Mädchen aus Umbrien kennen gelernt habe.
    Beide wissen, dass das nicht stimmt, aber keiner würde jemals eine Silbe darüber verlieren. So läuft das. Normalerweise.
    Meine erschütterte Reaktion gibt Marco zu denken. «Der arme Kerl muss die ganze Zeit alleine in seiner dunklen Bude rumsitzen? Das ist doch fürchtbar!»
    «Ich weiß nicht. Er will es doch so.»
    «Meinst du, er ist sauer, wenn wir ihn besuchen?»
    «Ich weiß nicht, man macht das nicht.» Dann kommt ihm eine Idee. Er wählt Fabios Nummer.
    «Sag mal, wie wäre es, wenn wir dich auf Sardinien besuchen kämen?»
    Fabio gibt ihm eine längere Antwort, die ich nicht verstehe.
    «Wir könnten Getränke mitbringen. Brauchst du sonst noch etwas auf Sardinien?»
    Marco notiert sich einen kleinen Einkaufszettel. Sie verabschieden sich, und wir gehen zum Supermarkt. Die Sache ist sehr kompliziert. Wir können ihn besuchen, dabei darf aber 90
    sein Zuhausebleiben nicht thematisiert werden. Wir sollen ganz selbstverständlich bei ihm reinmarschieren, und wenn wir gehen, soll unausgesprochen klar sein, dass wir ihn nicht verraten. Das fühlt sich für mich nach Agentenfilm an, aber Marco ist ganz ernst dabei.
    Wir kaufen im Supermarkt bei Cousin Paolo ein. Bei dem war ich auf der Hochzeit. Er hat sich einen Bart wachsen lassen. Jetzt sieht er fast aus wie seine Frau. Das ist die, die gerade einen gewissen Primo zur Welt gebracht hat. Paolo küsst mich ab und verkauft uns dann Rasierklingen, Brot, etwas Obst, Kalbsschnitzel, Geschirrspülmittel und Kondome. Letztere hat Fabio nur in Auftrag gegeben, um Marco zu ärgern, denn er weiß, dass Marco nirgendwo preisgeben wird, für wen der Einkauf ist. Ganz klar, dass Paolo die Präservative an der Kasse kommentiert: «Menschenskind Marco, sind die nicht eine Nummer zu groß für dich?» Dann holt er einen Luftballon aus einer Papiertüte hervor und gibt ihn Marco in die Hand.
    «Hier, das ist der richtige für dich. Viel Spaß.»
    Auf dem Weg zu Fabio schärft Marco mir noch einmal ein, die Situation keinesfalls durch falsche Fragen zu verschärfen.
    Wir halten vor Fabios Wohnung. Er lebt in einem der kleinen Altstadthäuschen unterhalb der Burg. Vor dem Haus steht seine Vespa, abgedeckt mit einer grauen Plastikfolie. Keiner da, soll das heißen. Die Fensterläden sind geschlossen, aber das will

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